Dr. Annette Junker, Wermelskirchen
Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist eine akut auftretende Form der Leukämie, bei der Zellen, die normalerweise zu Lymphozyten heranwachsen (Vorläuferzellen), zu bösartigen Leukämiezellen entarten. Meist tritt die ALL im Kindesalter auf, aber auch Erwachsene können noch daran erkranken. Die verschiedenen Formen der ALL lassen sich durch immunologische, zytologische und molekularbiologische Untersuchungen differenzieren. Man unterscheidet die B-Vorläufer-ALL und die T-ALL. Vor 30 bis 40 Jahren führte die ALL bei den meisten Patienten noch innerhalb von wenigen Wochen zum Tod. Jetzt ist sie durch sehr intensive Chemotherapie-Regime bei über 50% der Erwachsenen und bei etwa 80% aller Kinder heilbar. Bei ALL-Patienten wird vielfach das sogenannte GRAALL-Protokoll der GMALL-Studiengruppe angewendet. Die kompletten Remissionsraten unter diesem Protokoll sind zwar bereits hoch, aber viele Patienten erfahren einen Rückfall, und bei weniger als der Hälfte kommt es zu einem Langzeitüberleben. Bei 30 bis 40% der Patienten mit B-Vorläufer-ALL ist das CD20-Antigen exprimiert, was zunächst eine schlechte Prognose für die Patienten bedeutet. Das war aber der Anlass für die GRAALL-R-2005-Studie, die den Einsatz des Anti-CD20-Antikörpers Rituximab testen sollte.
Die GRAALL-R-Studie
In der multizentrischen, randomisierten Studie sollte überprüft werden, ob bei ALL-Patienten zwischen 18 bis 59 Jahren mit neu diagnostizierter CD20-positiver, Ph-negativer BCP-ALL ein Hinzufügen von Rituximab zum GRAALL-Protokoll, das ursprünglich aus der Pädiatrie stammt, zu einem Benefit führt, im Vergleich zur Kontrollgruppe, die nur mit dem GRAALL-Protokoll behandelt wurde [2] (Tab. 1). Als CD-20-positiv wurden die Patienten definiert, bei denen in mehr als 20% der leukämischen Blasten eine Expression von CD20 nachgewiesen werden konnte. Rituximab (375 mg/m2) wurde zu definierten Zeitpunkten während der Induktion, der Reinduktion (wenn nötig), der Konsolidierung sowie der Intensivierung gegeben. Insgesamt bekamen die Patienten im Verum-Arm 16 bis 18 Rituximab-Infusionen. Eine allogene Stammzelltransplantation (SCT) wurde Patienten mit einem oder mehreren Risikofaktoren in der ersten komplette Remission angeboten, wenn sie einen geeigneten Spender hatten.
Tab. 1. GRAALL-R-Studie [nach 2]
Erkrankung |
Akute lymphatische B-Zell-Leukämie, CD20-positiv, Ph-negativ |
Studienziel |
Effektivität von Rituximab zusätzlich zum GRAALL-Protokoll |
Studiendesign |
Randomisiert, multizentrisch |
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Ereignisfreies Überleben |
GRAALL: Group for research on adult acute lymphoblastic leukemia; IIT: Intention to treat
Längeres ereignisfreies Überleben mit Rituximab
Von 2005 bis 2014 wurden in 56 Zentren 220 CD20-positive und Ph-negative BCP-ALL-Patienten randomisiert. Die Itention-to-treat-Population umfasste 105 Personen im R-GRAALL- und 104 im GRAALL-Arm. Sie waren median 40 Jahre alt. Nach der Induktion und eventuell nachfolgender Salvage-Reinduktion unterschieden sich die Raten an kompletter Remission kaum (92% vs. 91%) im Rituximab- bzw. Kontrollarm. Jedoch konnte ein größerer Anteil der Patienten im Rituximab-Arm einer allogenen SCT zugeführt werden (34% vs. 20%; p=0,029). Nach einem medianen Follow-up von 30 Monaten hatten außerdem die Patienten im Rituximab-Arm eine geringere kumulative Inzidenz (CIR) für einen Rückfall (2-Jahres-CIR: 18,0% vs. 30,5%; p=0,02). Daraus ergab sich ein längeres ereignisfreies Überleben (EFS) für den R-Arm (2-Jahres-EFS: 65% vs. 52%; Hazard-Ratio [HR] 0,66; p=0,038), (Abb. 1). Das Gesamtüberleben (OS) war in einer univariablen Analyse aller Patienten nicht unterschiedlich beim Vergleich der beiden Arme. Wenn man jedoch nur diejenigen Patienten der beiden Gruppen miteinander verglich, die schon nach der ersten kompletten Remission eine allogene SCT erhalten hatten, so zeigte sich ein längeres 2-Jahres-EFS (66% vs. 53%) und ein längeres 2-Jahres-Gesamtüberleben (74% vs. 63%) für die Patienten im Rituximab-Arm. Bemerkenswerterweise zeigte sich der Rituximab-Benefit bei allen Subgruppen, die vorher definiert worden waren, wie Alter, Zahl der weißen Blutkörperchen zu Beginn (WBC) und Involvierung des zentralen Nervensystems.

Abb. 1. Das durch Rituximab erweiterte Chemotherapie-Protokoll führt zu längerem ereignisfreiem Überleben als das alleinige GRAALL-Protokoll [nach 2]
Sicherheit
Rituximab wurde gut vertragen mit nur einem leichten Trend zu mehr Infektionen. Auffällig war auch, dass es in der Rituximab-Gruppe signifikant seltener zu Hypersensitivitätsreaktionen auf Asparaginase kam. Das lässt darauf schließen, dass Rituximab durch seinen Effekt auf die B-Zellen möglicherweise die Bildung von Anti-Asparaginase-Antikörpern unterdrückt.
Fazit
Ungefähr 32% der Erwachsenen mit Ph-negativen BCP-ALL haben eine CD20-positive ALL. Bei diesen Patienten wird ein Hinzufügen von Rituximab zur standardmäßigen intensiven Chemotherapie gut vertragen. Sie verlängert außerdem das EFS sowie das Gesamtüberleben bei den Patienten, die schon nach der ersten kompletten Remission allogen transplantiert werden konnten. Insofern sollte nach Ansicht der Autoren bei diesen Patienten die Kombination aus intensivem Chemotherapie-Protokoll plus Rituximab zum neuen Therapiestandard werden. In dem Armamentarium der ALL-Therapieoptionen, auch inklusive der neuen Substanzen wie Blinatumumab und Inotuzumab, sollte auch das alt bekannte Rituximab einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Ein optimales Dosierungsschema der Rituximab-Verabreichung müsse allerdings, so die Autoren, noch bestimmt werden.
Literatur
1. Coiffier B, et al. CHOP chemotherapy plus rituximab compared with CHOP alone in elderly patients with diffuse large-B-cell lymphoma. N Engl J Med 2002;346:235–42.
2. Maury S, et al. Addition of rituximab improves the outcome of adult patients with CD20-positive, Ph-negative, B-cell precursor acute lymphoblastic leukemia. ASH 2015, Plenary Session, Abstr. 1.
Arzneimitteltherapie 2016; 34(04)