Joanna Warszawska, Florian Raimann, Angelo Ippolito, Kai Zacharowski und Andreas Pape, Frankfurt am Main

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Die Geschichte der Muskelrelaxanzien
Die südamerikanischen Indianer waren die Ersten, die Curare-Alkaloide verwendeten, um ihre Giftpfeile oder Köder zu präparieren. Im Jahr 1935 gelang dem Oxforder Forscher King die Isolierung und Charakterisierung von (+)-Tubocurarin aus Museumsexponaten [7]. Die ersten Schritte im Verständnis des Wirkungsmechanismus von Curare-Alkaloiden machten aber schon die Pariser Forscher Claude Bernard und sein Schüler Vulpian Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie lokalisierten den Wirkungsort zwischen dem motorischen Nerv und der Muskelzelle, in dieser Zeit von Kühne die „motorische Endplatte“ genannt. Anfang des 20. Jahrhunderts zeigte Langley in Cambridge, dass Curare die durch Nicotin induzierte, aber nicht die durch die direkte Stimulation induzierte Muskelantwort hemmt. Die blockierende Wirkung findet vorwiegend an der Muskelzelle und weniger an der Nervenzelle statt. Langley schloss, dass Nicotin und Curare um die gleiche „rezeptive Substanz“ konkurrierten und die Signalübertragung zwischen der Nervenzelle und der Muskelzelle nicht auf elektrischem, sondern vielmehr auf chemischem Wege geschieht. Diese chemischen Boten werden heute Neurotransmitter genannt. Es dauerte weitere 30 Jahre, bis ein anderer Forscher, Dale, das Acetylcholin als den Neurotransmitter an der neuromuskulären Endplatte identifizierte. Dale und seine Mitarbeiter fanden heraus, dass Curare die Wirkung an der Muskelzelle und weniger die Sekretion von Acetylcholin aus der Nervenzelle beeinträchtigt, was die Hypothese der Acetylcholin-Rezeptoren noch bekräftigte.
Parallel dazu zeigten Bacq und Brown, auch in London, dass Acetylcholin einen neuromuskulären Block bewirken kann, wenn es im Überschuss an der motorischen Endplatte vorhanden ist. Im Jahr 1948 gelang es zwei Gruppen (Barlow & Ing in Oxford und Zaimis in London), eine Reihe von Methonium-Verbindungen herzustellen. Darunter befand sich Decamethonium, welches einen neuromuskulären Block, ähnlich dem überschüssigen Acetylcholin (den sogenannten Depolarisationsblock, siehe unten), verursachte.
Vor Einführung von Muskelrelaxanzien in die anästhesiologische Routine wurde die Muskelrelaxation durch sehr hohe Dosen von Anästhetika erreicht. Als erster benutzte Dr. Läwen, ein deutscher Chirurg, 1912 „Curarine“ als Ergänzung zur Anästhesie. Er stellte fest, dass der Einsatz von Curarine den Anästhetikabedarf deutlich senkt und dadurch die Sicherheit der Anästhesie erheblich verbessert. Seine Idee wurde aber erst 28 Jahre später von zwei kanadischen Anästhesisten, Griffith und Johnson, aufgegriffen. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Muskelrelaxation zum festen Bestandteil der Allgemeinanästhesie. Seit dem ersten Einsatz wurden viele neue Muskelrelaxanzien mit besserem Wirk- und Nebenwirkungsprofil entwickelt.
Die neuromuskuläre Übertragung an der motorischen Endplatte
Acetylcholin(ACh)-Rezeptoren werden in nikotinerge und muskarinerge eingeteilt. Die nikotinergen ACh-Rezeptoren befinden sich an den motorischen Endplatten, in den autonomen Ganglien sowie im Zentralnervensystem. Der für die neuromuskuläre Blockade verantwortliche Haupteffekt der Muskelrelaxanzien ist die Unterbrechung des Signalwegs durch die Blockade der postsynaptischen nikotinergen ACh-Rezeptoren in der motorischen Endplatte [22].
Diese ist eine chemische Synapse, bestehend aus einer Nervenendigung eines peripheren motorischen Nervs (enthält ACh), einem synaptischen Spalt sowie postsynaptisch einer spezialisierten Membran einer Muskelfaser (Abb. 1). Die postsynaptische Membran enthält die nikotinergen ACh-Rezeptoren. Diese binden ACh, was zu Depolarisation und Kontraktion der Muskelzelle führt. ACh wird durch die Acetylcholinesterase im synaptischen Spalt hydrolysiert [22].

Abb. 1. Die motorische Endplatte [nach Mutschler E, et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen. Stuttgart: Deutscher Apotheker Verlag, 2013: 278.] ACh: Acetylcholin; CoA: Coenzym A
Pharmakologische Eigenschaften
Die motorische Endplatte ist der Hauptwirkungsort aller Muskelrelaxanzien. Aufgrund des Wirkungsmechanismus unterscheidet man depolarisierende und nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien. Aufgrund der Wirkdauer unterteilen wir Muskelrelaxanzien in ultrakurzwirksame (<10 Minuten; Succinylcholin), kurzwirksame (<20 Minuten; Mivacurium), mittellangwirksame (45 bis 60 Minuten; Atracurium, Cisatracurium, Rocuronium, Vecuronium) und langwirksame (>1 Stunde; Pancuronium) (Tab. 1) [22].
Tab. 1. Pharmakologie gebräuchlicher Muskelrelaxanzien [22]
Muskelrelaxans |
ED95 [mg/kg] |
Intubationsdosis [mg/kg] |
Anschlagzeit [min] |
Klinische Wirkdauer [min] |
Erholungsindex |
Elimination |
Succinylcholin |
0,25 |
1–1,5 |
1 |
4–6 |
3–5 |
Plasmacholinesterase |
Atracurium |
0,25 |
0,4–0,6 |
2–3 |
20–35 |
10–15 |
Esterhydrolyse, Hofmann-Abbau |
Cisatracurium |
0,05 |
0,15–0,2 |
2–3 |
40–60 |
10–15 |
Hofmann-Abbau |
Mivacurium |
0,08 |
0,15–0,25 |
2–3 |
15–25 |
5–10 |
Plasmacholinesterase |
Pancuronium |
0,06 |
0,06–0,1 |
3–4 |
60–100 |
30–45 |
Renal 70–80% Hepatisch/biliär 20–30% |
Rocuronium |
0,3 |
0,6–1,2 |
1–1,5 |
30–150 |
12–15 |
Hepatisch |
Vecuronium |
0,05 |
0,08–0,12 |
2–3 |
25–40 |
10–15 |
Hepatisch/biliär 70–90% Renal 10–30% |
ED95: Dosis des Muskelrelaxans, die eine 95%-Blockade bewirkt
Depolarisierende Muskelrelaxanzien
Depolarisierende Muskelrelaxanzien (die heute nicht mehr verwendeten Wirkstoffe Decamethonium und Hexcarbacholin sowie das bis heute klinisch angewandte Succinylcholin) wirken ähnlich wie ACh agonistisch an den nikotinergen ACh-Rezeptoren und depolarisieren die motorische Endplatte. Sie werden allerdings langsamer eliminiert als ACh. Durch die anhaltende Depolarisierung kommt es zur Inaktivierung von spannungsabhängigen Natriumkanälen und zur Entstehung einer nicht erregbaren Zone um die motorische Endplatte [7]. Der Block kann jedoch zwei Komponenten aufweisen. Der Phase-I-Block stellt eine übliche Antwort auf Succinylcholin dar, den oben beschriebenen Depolarisationsblock. Die Phase-II-Blockade ähnelt der neuromuskulären Blockade durch die nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien. Der Mechanismus des Phase-II-Blocks ist nicht vollkommen geklärt. Rezeptor-Desensitisierung, partieller Agonismus, Depolarisation von Nervenendigung mit Abnahme der ACh-Ausschüttung, Hemmung der ACh-Synthese und vieles mehr werden als mögliche Ursachen diskutiert [7].
Succinylcholin (Suxamethonium)
Succinylcholin ist bis heute das einzige klinisch eingesetzte depolarisierende Muskelrelaxans [22] (Abb. 2). Es kann formal als doppeltes Acetylcholin aufgefasst werden. Bei wiederholten Gaben und Dosen>5 mg/kg Körpergewicht kann es zum Phase-II-Block kommen (siehe oben) [15]. Wegen der zahlreichen unerwünschten Nebenwirkungen (Tab. 2) ist laut Deutscher Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin e.V. (DGAI) heutzutage die zügige Intubation bei Patienten, die von einer Aspiration von Mageninhalt gefährdet sind, nahezu die einzige Indikation für die Anwendung von Succinylcholin [15]. Zu beachten ist, dass eine Vorgeschichte von maligner Hyperthermie, Allergie und Bettlägrigkeit >48 Stunden sowie Vorhandensein von Hyperkaliämie, Verbrennungen (14 bis 28 Tage), perforierenden Augenverletzungen oder Lähmungen eine absolute Kontraindikation gegen den Einsatz von Succinylcholin darstellen [15]. Der Abbau geschieht nach Diffusion aus dem synaptischen Spalt durch die Plasmacholinesterase (auch Pseudocholinesterase genannt). Dieses Enzym wird in der Leber synthetisiert. Verminderte Plasmaspiegel (z.B. bei schwerer Lebererkrankung, Malignomen oder in der Schwangerschaft), eine medikamentös bedingte Hemmung (wie etwa durch AChE-Hemmer oder Metoclopramid) oder das Vorhandensein einer genetisch bedingten atypischen Enzymvariante können eine Verlängerung der Wirkdauer bewirken [15, 22, 29].

Abb. 2. Muskelrelaxanzien: Strukturformeln
Tab. 2. Nebenwirkungen gebräuchlicher Muskelrelaxanzien [mod. nach 22]
Muskelrelaxans |
Kardiovaskuläre Nebenwirkungen |
Maligne Hyperthermie |
Andere Nebenwirkungen |
Succinylcholin |
Hypertension und Tachykardie durch Ganglienstimulation, Bradyarrhythmie bis Asytolie durch die Stimulation der muskarinergen Rezeptoren des Sinusknotens |
+ |
Myalgie Hyperkaliämie Druckanstieg intraabdominell, intrakraniell, intraokulär |
Atracurium |
Hypotension durch Histamin-Freisetzung |
– |
|
Cisatracurium |
– |
– |
|
Mivacurium |
Hypotension durch Histamin-Freisetzung |
– |
|
Pancuronium |
Hypertension, Tachykardie, Anstieg des Herzminutenvolumens und des myokardialen Sauerstoffverbrauchs durch Vagolyse und sympathische Stimulation |
– |
|
Rocuronium |
Vagolyse |
– |
|
Vecuronium |
– |
– |
Hemmung der Histamin-N-Methyltransferase |
Nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien
Die derzeit verfügbaren nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien sind ACh-Rezeptor-Antagonisten. Sie rufen einen reversiblen kompetitiven Block durch die Verdrängung von Acetylcholin vom ACh-Rezeptor hervor. Eine reversible Lähmung der Muskulatur tritt auf, wenn 70 bis 80% der ACh-Rezeptoren durch ein Muskelrelaxans besetzt sind. Bei 90- bis 95%iger Rezeptorbesetzung kommt es zur kompletten Blockade.
Nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien können weiter in Aminosteroide (Pancuronium , Rocuronium, Vecuronium) und Benzylisochinoline (Atracurium, Cisatracurium, Mivacurium) unterteilt werden.
Benzylisochinoline
Atracurium (Tracrium®)
Atracurium ist ein Muskelrelaxans aus der Gruppe der Benzylisochinoline, das aus zehn Isomeren besteht. Es wird zu zwei Drittel durch Esterhydrolyse und zu einem Drittel durch Hofmann-Abbau, das heißt einen Spontanzerfall in quartäre Ammoniumsalze, eliminiert. Dadurch ist Atracurium gut geeignet für Patienten mit Leber- und Niereninsuffizienz. Der Hauptmetabolit Laudanosin wirkt in höheren Konzentrationen ZNS-stimulierend. Bei schneller Verabreichung von Atracurium ist eine Histamin-Freisetzung aus Mastzellen mit Blutdruckabfall möglich.
Cisatracurium (Nimbex®)
Cisatracurium ist einer der zehn Atracurium-Isomeren. Es ist vierfach so potent wie Atracurium. Dafür besitzt Cisatracurium eine deutlich längere Anschlagzeit. Es wird überwiegend durch Hofmann-Abbau eliminiert, daher auch weitgehend organunabhängig. Im Gegensatz zu Atracurium führt Cisatracurium kaum zu einer Histamin-Freisetzung, selbst bei hoher Dosierung. Der Einsatz gilt daher bei hämodynamisch instabilen Patienten als sicher.
Mivacurium (Mivacron®)
Mivacurium ist das am kürzesten wirksame nichtdepolarisierende Muskelrelaxans. Es ist daher gut geeignet für kurze Eingriffe. Es ist eine Mischung aus drei Stereoisomeren (trans-trans-, cis-trans- und cis-cis-Diester) [22]. Ähnlich wie bei Atracurium ist bei rascher Gabe von Mivacurium eine Histamin-Freisetzung mit Blutdruckabfall möglich. Die Elimination von Mivacurium erfolgt, wie bei Succinylcholin, durch die Plasmacholinesterase. Es kann hier also auch medikamentenbedingt, genetisch bedingt oder durch verminderte Plasmaspiegel zu Wirkungsverlängerung kommen. Weiterhin ist bei Nieren- und Leberinsuffizienz Vorsicht geboten, da die Wirkung auf das 1,5- respektive 3-Fache verlängert ist [15]. Mivacurium wird in Europa, nicht aber in den Vereinigten Staaten verwendet.
Aminosteroide
Pancuronium (Pavulon®)
Pancuronium ist das am längsten wirksame Muskelrelaxans. Es wird zu 15% in der Leber zu aktiven Metaboliten verstoffwechselt und hauptsächlich renal eliminiert. Es kann daher bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion akkumulieren. Das Nebenwirkungsprofil umfasst kardiovaskuläre Effekte wie Blutdruckanstieg, Anstieg von Herzfrequenz und Herzminutenvolumen. Ursächlich sind die vagolytische Wirkung an den kardialen muskarinergen Rezeptoren sowie die Hemmung der Katecholamin-Wiederaufnahme in die sympathischen Nervenendigungen, die allen steroidalen Muskelrelaxanzien zugeschrieben werden können. Dies kann den myokardialen Sauerstoffverbrauch erhöhen und damit die myokardiale Ischämie begünstigen.
Rocuronium (Esmeron®)
Rocuronium ist das nichtdepolarisierende Muskelrelaxans mit der kürzesten Anschlagzeit. Der Wirkungseintritt kann durch eine Dosissteigerung noch weiter beschleunigt werden. Allerdings steigt dann auch die ohnehin schon sehr variable Wirkdauer. Daher ist Rocuronium für die Narkoseeinleitung beim nicht nüchternen Patienten („Ileuseinleitung“) geeignet, wenn Succinylcholin kontraindiziert ist. In einem systematischen Review von Studien, die Rocuronium und Succinylcholin in Bezug auf die Intubationsbedingungen bei einer Ileuseinleitung untersuchten, zeigte sich Succinylcholin Rocuronium überlegen. Erst bei einer Dosierung von 1,2 mg/kg Körpergewicht Rocuronium gab es keinen Unterschied der Intubationsbedingungen, aber eine deutliche Verlängerung der Wirkdauer [21, 28]. Rocuronium ist relativ nebenwirkungsarm. Analog zu Pancuronium kann es zu einer geringen Zunahme der Herzfrequenz infolge Vagolyse kommen. Die Elimination erfolgt in unveränderter Form größtenteils hepatisch. Es ist daher mit Wirkverlängerung bei Leberinsuffizienz zu rechnen. 10 bis 20% des Relaxans werden renal ausgeschieden.
Vecuronium (Norcuron®)
Vecuronium ist ein Analog von Rocuronium mit einer höheren Potenz. Es führt zwar nur zu einer moderaten Histamin-Freisetzung, hemmt aber die Histamin-N-Methyltransferase und kann dadurch die Histamin-Wirkung (Flush, Blutdruckabfall) verstärken, falls Histamin beispielsweise durch andere Medikamente freigesetzt wird. Durch die Metabolisierung entsteht 3-Desacetyl-Vecuronium, ein aktiver Metabolit mit 50 bis 70% der Vecuronium-Wirkung. Vecuronium wird hauptsächlich hepatisch eliminiert. Ein geringer Teil wird renal ausgeschieden. Eine verlängerte Wirkdauer wird bei älteren Patienten und bei Nieren- und Leberinsuffizienz beobachtet.
Rationale der klinischen Anwendung von Muskelrelaxanzien
Verbesserung der Intubationsbedingungen
In einer prospektiven, randomisierten, doppelblinden, kontrollierten Studie untersuchten Combes und Kollegen die intubationsbedingten Komplikationen und Intubationsbedingungen in Abhängigkeit vom Einsatz von Muskelrelaxanzien bei 300 Patienten, die sich elektiven „peripheren“ chirurgischen Eingriffen unterzogen [10]. Die Patienten wurden randomisiert; eine Gruppe erhielt Rocuronium für die Intubation, die andere nicht. Der primäre Endpunkt der Studie, die Inzidenz der postoperativen Heiserkeit und Halsschmerzen, waren zwei und 24 Stunden nach Intubation in der Gruppe ohne Muskelrelaxanzien signifikant höher. Die sekundären Endpunkte waren die Intubationsbedingungen, die Inzidenz des schwierigen Atemwegs sowie die Häufigkeit von hämodynamischen Komplikationen. Die Intubationsbedingungen wurden evaluiert anhand von „Copenhagen Consensus Conference on Good Clinical Research Practice in Pharmacodynamic Studies of Neuromuscular Blocking agents“ [30] und der „Intubation Difficulty Scale“ (IDS) [1]. Die Kopenhagen-Kriterien beinhalten: Kiefererschlaffung und Widerstand gegen das Einführen des Laryngoskopspatels, Stellung und Bewegung von Stimmbändern, Extremitätenbewegung und Husten, wobei jedes Kriterium mit sehr gut, gut oder schlecht bewertet wird. Die auf diese Weise evaluierten Intubationsbedingungen waren signifikant besser in der Gruppe, die für die Intubation relaxiert wurde. Passend dazu war der schwierige Atemweg häufiger anzutreffen in der Gruppe, die nicht relaxiert wurde (12% vs. 1%). Nicht relaxierte Patienten hatten auch häufiger eine relevante Bradykardie und Hypotension (12% vs. 3%) [10].
Eine andere Untersuchung von Mencke und Kollegen verglich die Intubationsbedingungen und intubationsbedingten Komplikationen bei 80 Patienten mit und ohne Einsatz von Muskelrelaxanzien. Diese Studie zeigte, dass die Inzidenz der postoperativen Heiserkeit sowie der objektiven Veränderungen an den Stimmbändern (Schwellung, Hämatom) ohne Einsatz von Muskelrelaxanzien signifikant höher war und diese auch länger persistierten [18]. Je besser die Intubationsbedingungen, desto seltener waren wiederum die laryngealen Komplikationen. Der Einsatz von Muskelrelaxanzien verbesserte signifikant die Intubationsbedingungen und reduzierte damit die laryngeale Morbidität [18]. Das spricht gegen den Verzicht einer Muskelrelaxation bei der endotrachealen Intubation.
Verbesserung der Operationsbedingungen
Die Notwendigkeit einer intraoperativen neuromuskulären Blockade hängt von der Art des Eingriffs ab. In einer neueren Arbeit untersuchten Blobner et al. den Nutzen des Einsatzes von Muskelrelaxanzien bei elektiven laparoskopischen Cholezystektomien [6]. Randomisiert erhielten 57 Patienten eine „tiefe“ neuromuskuläre Blockade mit Rocuronium (keine Antwort auf Train-of-Four [TOF]-Stimulation) oder keine neuromuskuläre Blockade. Der Operateur durfte eine Rescue-Relaxation (0,3 mg/kg Körpergewicht Rocuronium) verlangen, wenn die operativen Bedingungen nicht akzeptabel waren. Die operativen Bedingungen wurden objektiv mit einer visuellen Analog-Skala (1–100 Punkte) evaluiert. Zusätzlich wurden Zwerchfellbewegungen, Bauchmuskelbewegungen, schlechte Sicht sowie Atmen und Husten gegen das Beatmungsgerät als Hinweise auf unzureichende Relaxierung erfasst. Chirurgen empfanden die operativen Bedingungen ohne Muskelrelaxation als signifikant schlechter. Die nicht relaxierten Patienten zeigten zudem signifikant häufiger Zeichen unzureichender Relaxierung, die die Operation störten. In 40% dieser Fälle verlangten die Operateure die Rescue-Relaxierung. Sie führte zur Verbesserung der operativen Bedingungen um durchschnittlich 62 Punkte [6].
Zur Tiefe der neuromuskulären Blockade untersuchten Madsen und Kollegen in einem systematischen Review 15 Studien mit insgesamt 998 Patienten [16]. Es ist laut dieser Studie ausreichend belegt, dass eine tiefe neuromuskuläre Blockade bei laparoskopischen Eingriffen wie Cholezystektomie, Hysterektomie, Nephrektomie oder Prostatektomie die operativen Bedingungen verbessert und somit empfohlen werden kann. Die Studienlage bei Laparotomien ist hingegen nicht ausreichend, um eine tiefe neuromuskuläre Blockade zu empfehlen [16].
Allerdings kamen Kopman und Naguib in ihrer Review-Arbeit zu einer anderen Folgerung. Sie untersuchten Studien, in denen eine tiefe neuromuskuläre Blockade (PTC 1 und mehr, aber TOF 0) mit einer moderaten Blockade (TOF 1–3) bei laparoskopischen Eingriffen verglichen wurde [14]. Die Autoren stellten diesbezüglich eine schlechte Studienlage fest. Es fehlen gut konzipierte Studien zu der Fragestellung, ob eine tiefe Blockade imstande ist, bessere Operationsbedingungen zu schaffen als eine moderate Blockade. Die vorhandenen Arbeiten weisen viele Schwachstellen auf und erlauben somit keine sicheren Rückschlüsse. Eine tiefe neuromuskuläre Blockade hat ihre Limitationen. Bei einer laparoskopischen Cholezystektomie mit einem Inflationsdruck von 8 mmHg beträgt die Konversionsrate 40% trotz tiefer neuromuskulärer Blockade (PTC 0–1). Es gibt Hinweise, dass eine tiefe Blockade, verglichen mit einer moderaten Blockade, die abdominelle Compliance nicht wesentlich verbessert. Zudem impliziert die Aufrechterhaltung der tiefen Blockade während des Pneumoperitoneums die Probleme der postoperativen Restblockade, die Notwendigkeit des neuromuskulären Monitorings sowie die hohen Kosten bei Reversierung mit Sugammadex (siehe unten). Zusammenfassend gibt es laut Kopman und Naguib derzeit unzureichend Daten, die eine generelle Empfehlung einer tiefen Blockade bei laparoskopischen Eingriffen berechtigen [14].
Neuromuskuläre Restblockade
Die neuromuskuläre Restblockade ist ein häufiges und relevantes Phänomen. Es steigert vor allem die pulmonale Morbidität. Mikroaspiration, Hypoxie, Lungenödem, Atelektasen sowie Pneumonie sind die Folgen [12, 17].
Hinsichtlich ihrer Wirkung weisen Muskelrelaxanzien hohe interindividuelle Unterschiede auf. Die Wirkdauer ist unter anderem von Alter, Organfunktion (z.B. Leber-, Niereninsuffizienz), Geschlecht, Körpertemperatur, Anästhesieverfahren (Einsatz inhalativer Anästhetika) abhängig [24, 26]. Besonders bei älteren Patienten ist die Wirkdauer von steroidalen nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien sehr variabel [2]. Allerdings zeigten nach einer einmaligen Intubationsdosis von Atracurium 8% der Patienten nach 90 bis 120 Minuten noch eine relevante Restrelaxierung, obwohl dieses Muskelrelaxans zu etwa einem Drittel organunabhängig eliminiert wird (Hofmann-Abbau) [25].
Neuromuskuläres Monitoring – Relaxometrie
Eine neuromuskuläre Restblockade lässt sich allein mit klinischen Muskelfunktionstests nicht sicher ausschließen. Zum Glück stehen uns heutzutage zur Überwachung der Muskelfunktion, vor allem nach Verwendung nichtdepolarisierender Muskelrelaxanzien, mehrere relaxometrische Verfahren zur Verfügung. Die Relaxometrie misst die Antwort eines bestimmten Muskels auf die Stimulation des zugehörigen Nervs. Dabei wird der jeweilige Nerv mittels Stimulationselektroden aktiviert. Die Muskelantwort wird qualitativ oder quantitativ gemessen (siehe unten). Je mehr Muskelfasern aktiviert werden, desto stärker wird die gemessene Reizantwort. Die häufigen Muskel-Nerv-Paare sind der Musculus adductor pollicis und Nervus ulnaris, sein Äquivalent an der unteren Extremität der Musculus flexor hallucis brevis und Nervus tibialis posterior sowie am Kopf der Musculus orbicularis oculi oder Musculus corrugator supercilli und der Nervus facialis. M. adductor pollicis und N. ulnaris werden wegen der meist guten intraoperativen Zugänglichkeit sowie des geringen Risikos der direkten Stimulation bevorzugt. Dabei muss man bedenken, dass die Ansprechbarkeit verschiedener Muskelgruppen gegenüber Muskelrelaxanzien unterschiedlich stark ausgeprägt ist (Abb. 3). Die neuromuskuläre Erholung gemessen am M. adductor pollicis bedeutet also nicht, dass die pharyngeale Muskulatur oder die Muskulatur der oberen Atemwege gleichermaßen erholt sind. Ähnlich bedeutet die komplette neuromuskuläre Blockade des M. adductor pollicis nicht, dass die Larynxmuskulatur (unter Intubationsbedingungen) oder Zwerchfell (unter Operationsbedingungen) ausreichend relaxiert sind. Die klinisch relevanten Tests umfassen Train-of-Four (TOF), Double Burst Stimulation (DBS) und Post-Tetanic-Count (PTC). Das TOF-Verfahren besteht aus vier Stimulationen mit einer Frequenz von 2 Hz. Die nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien führen zur Abschwächung der Reizantworten beginnend bei der 4. Reizantwort (Ermüdung, engl. Fading). Bei einer tiefen Blockade sind keine Reizantworten mehr nachweisbar. Die neuromuskuläre Erholung ist dadurch erkennbar, dass die einzelnen Reizantworten wieder auftreten und zwar in umgekehrter Reihenfolge. Es kann somit eine TOF-Zahl (0–4) sowie ein TOF-Ratio (Verhältnis von der Reizantwort 1 zur Reizantwort 4) bestimmt werden. Die Muskelantwort kann visuell, taktil oder besser quantitativ erfasst werden. Die quantitativen Methoden umfassen Mechanomyographie, Elektromyographie (für wissenschaftliche Zwecke) und Kinemyographie sowie Akzeleromyographie (für klinische Anwendungen). Kinemyographie und Akzeleromyographie basieren beide auf dem sogenannten piezoelektrischen Effekt. Dabei wird bei der Kinemyographie die elektrische Spannung eines Mechanosensors, der zwischen Daumen und Zeigerfinger platziert wird, gemessen.

Abb. 3. Empfindlichkeit gegenüber Muskelrelaxanzien (mod. nach [18])
Bei der Akzeleromyographie wird hingegen durch die elektrische Spannung die Beschleunigung erfasst. Die TOF-Stimulation ermöglicht das Festlegen des optimalen Intubationszeitpunkts (sobald alle vier Reize verschwunden sind), intraoperatives Monitoring (Nachrelaxieren sobald die 4. Reizantwort wieder nachweisbar) und vor allem die Überwachung der neuromuskulären Erholung. Hier hat vor allem quantitatives TOF einen hohen Stellenwert, da man mit qualitativen Verfahren eine TOF-Ratio jenseits von 0,5 nicht mehr unterscheiden kann. Von neuromuskulärer Erholung spricht man ab einer TOF-Ratio von 0,9.
Eine Arbeitsgruppe untersuchte, wie gut die verschiedenen akzeleromyographisch gemessenen TOF-Ratios die tatsächliche neuromuskuläre Erholung (mechanomyographisch gemessen) widerspiegeln. Dazu wurden in der Studie TOF-Werte sowohl kalibriert (Wahl der supramaximalen Stromstärke mit integriertem TOF-Watch®-Kalibrierungsmodus 2) sowie nicht kalibriert (supramaximale Stromstärke automatisch auf 50 mA festgesetzt) mit und ohne Normalisierung zu Baseline-TOF-Werten (vor der Relaxation) gemessen [9]. Tabelle 3 fasst die Ergebnisse dieser Studie zusammen. Man erkennt, dass die akzeleromyographisch gemessene TOF-Ratio von 1 gefordert ist, um eine neuromuskuläre Restblockade zuverlässig ausschließen zu können. Das entspricht noch nicht dem klinischen Alltag.
Tab. 3. Negativ-prädiktiver Wert verschiedener akzeleromyographisch gemessener TOF-Werte [9, 12]
TOF-Ratio |
Anteil Patienten ohne neuromuskuläre Restblockade (95%-KI) [%] |
||
TOF-Watch® |
|||
Kalibriert |
Nichtkalibriert |
||
Nicht normalisiert |
Normalisiert |
||
0,9 |
37 (20–56) % |
40 (23–59) % |
89 (70–98) % |
0,95 |
70 (51–85) % |
69 (41–77) % |
92 (75–99) % |
1 |
97 (83–100) % |
77 (58–90) % |
96 (80–100) % |
KI: Konfidenzintervall; TOF: Train-of-Four
Falls die quantitativen Messverfahren nicht vorhanden sind, ist die Double-Burst-Stimulation (DBS) geeignet, die neuromuskuläre Erholung zu überwachen [11]. Hier werden im Abstand von 0,75 Sekunden zwei hochfrequente Salven (50 Hz) verabreicht. Die Reizantwort wird subjektiv als zwei Kontraktionen wahrgenommen. Hier finden wir ähnlich wie bei TOF ein Ermüdungsphänomen, das man bis zu einem TOF-Ratio 0,7 wahrzunehmen vermag. Ab einer TOF-Ratio jenseits von 0,7 stößt auch DBS an seine Grenzen. Nachdem wir von einer neuromuskulären Erholung derzeit ab einer TOF-Ratio von 0,9 sprechen, ist DBS dem quantitativen TOF unterlegen.
Ein anderer Schwachpunkt von TOF ist die Überwachung von tiefen Blockaden, die gelegentlich beispielsweise in der Viszeralchirurgie notwendig sind. Hier findet der Post-Tetanic-Count (PTC) seine Anwendung. Die PTC-Stimulation besteht aus einem 50-Hz-Tetanus mit nachfolgenden 10 bis 20 Einzelreizen à 1 Hz. Bei einer TOF-Zahl von 0 lässt sich mithilfe von PTC eine tiefe Blockade (einzelne Reizantwort vorhanden) von einer intensiven Blockade (keine Reizantwort mehr nachweisbar) unterscheiden. Somit ist eine kontrollierte Nachrelaxation möglich (Abb. 4).

Abb. 4. Neuromuskuläres Monitoring mit TOF und PTC (mod. nach [18]); TOF: Train-of-Four; PTC: Post-Tetanic-Count
Die postoperative Restblockade ist unerwünscht, da sie das Risiko für pulmonale Morbidität (Hypoxie, Lungenödem, Atelektasen, Pneumonie, Aspiration) signifikant steigert [12, 17]. So besteht selbst bei einer minimalen Restblockade (TOF-Ratio 0,8) eine Obstruktion der oberen Atemwege. Die hypoxische Atemantwort ist durch die Blockade der nikotinergen Acetylcholinrezeptoren am Glomus caroticum ebenfalls noch beeinträchtigt. Die Funktion der pharyngealen Muskulatur ist selbst bei TOF-Ratio über 0,9 noch häufig gestört, was mit einem erhöhten Aspirationsrisiko einhergeht (Tab. 4) [12]. Eine aktuelle Studie zeigte, dass das Risiko pulmonaler Komplikationen mit dem Einsatz der Muskelrelaxanzien dosisabhängig steigt [17]. Ebenfalls führte der Einsatz des Reversierungsmedikaments Neostigmin zum signifikanten Anstieg pulmonaler Komplikationen, sofern es nicht TOF-gesteuert verabreicht wurde. In dieser Studie wurde die Relaxometrie in mehr als 70% der Patienten angewandt [17].
Tab. 4. Klinisch relevante Effekte einer neuromuskulären Restblockade, TOF-Ratio gemessen am M. adductor pollicis (mod. nach [12])
Monitoring M. adductor policis |
TOF-Ratio |
||
0,5 |
0,8 |
1 |
|
Tidalvolumen |
Normal |
Normal |
Normal |
Forcierte Vitalkapazität |
Häufig beeinträchtigt |
Häufig normal |
Normal |
Pharyngeale Funktion (Schluckakt) |
Sicher beeinträchtigt |
Meist beeinträchtigt |
Meist normal |
Integrität des oberen Atemwegs |
Sicher beeinträchtigt |
Meist beeinträchtigt |
Meist normal |
Hypoxische Atemantwort |
Häufig beeinträchtigt |
Häufig normal |
Normal |
TOF: Train-of-Four
Eine andere Gruppe zeigte, dass die Häufigkeit der postoperativen Restblockaden dank des Einsatzes des neuromuskulären Monitorings und Reversierung in den letzten Jahren abnahm [3]. In der entsprechenden Studie wurden im Jahr 1995 Relaxometrien nur bei weniger als 10% der Patienten verwendet, was mit einer hohen Inzidenz postoperativer Restblockaden einherging (mehr als 60%). 2004 betrug der Einsatz des neuromuskulären Monitorings über 70%; postoperative Restblockaden traten nur in 3% der Fälle auf. Das spricht für den routinemäßigen Einsatz der Relaxometrie.
Reversierung der neuromuskulären Blockade
Die Möglichkeit, den nichtdepolarisierenden Block zu antagonisieren, war lange vor dem klinischen Einsatz von Muskelrelaxanzien bekannt. Pal zeigte bereits im Jahr 1899, dass Physostigmin den durch Curare induzierten Block aufzuheben vermag [7]. Trotzdem wurde die Möglichkeit, die neuromuskuläre Übertragung wiederherzustellen, klinisch lange kaum wahrgenommen [19, 23]. Die Antagonisten, die sich dann klinisch durchsetzten, waren Pyridostigmin, Ephedronium und Neostigmin [7]. Heute wird hauptsächlich Neostigmin verwendet (Tab. 5) [27]. Alle genannten Substanzen gehören zur Gruppe der Acetylcholinesterase-Hemmer. Sie antagonisieren die muskelrelaxierende Wirkung indirekt, indem sie das Enzym Acetylcholinesterase (AChE) inaktivieren. Das führt zum verminderten Abbau von Acetylcholin mit gesteigerter Aktivität von Acetylcholin im synaptischen Spalt und Verdrängung des Muskelrelaxans von nikotinergen Rezeptoren. Die damit ebenfalls verbundene übermäßige Acetylcholin-Wirkung an den parasympathischen muskarinergen Rezeptoren führt zu den zahlreichen unerwünschten Nebenwirkungen, die eine breite klinische Anwendung einschränken. Diese beinhalten unter anderem Bradykardie, Speichelfluss, Bronchokonstriktion, Kontraktion der Harnblase, Miosis und abdominelle Spasmen mit Übelkeit und Erbrechen. Aufgrund dieser Nebenwirkungen werden die AChE-Hemmer stets mit Parasympatholytika wie Atropin oder Glykopyrronium verabreicht. Das kann wiederum zu Tachykardien und Arrhythmien führen. Ein weiteres Problem stellt das sogenannte Ceiling-Phänomen dar. Darunter versteht man die Tatsache, dass die antagonistischen Effekte von Acetylcholinesterase-Hemmern durch die Menge von Acetylcholin im synaptischen Spalt begrenzt sind. Das bedeutet, dass diese Substanzen erst eingesetzt werden dürfen, wenn die spontane Erholung absehbar ist (d.h. ab TOF von mindestens 4) [4]. Je nach Tiefe der Restblockade wird eine inkrementelle Dosissteigerung empfohlen (z.B. für Neostigmin 10 bis 40 µg/kg Körpergewicht) [5]. Die AChE-Inhibitoren hemmen in unterschiedlichem Ausmaß auch die Plasmacholinesterase, das für die Hydrolyse von Succinylcholin und Mivacurium verantwortliche Enzym.
Tab. 5. Übersicht der klinisch relevanten Wirkstoffe zur Aufhebung der Wirkung von Muskelrelaxanzien [20]
Wirkstoff |
Wirkungsmechanismus |
Metabolisierung, Ausscheidung |
Eliminations-HWZ [min] |
Dosierung |
Mittlere Erholungsdauer auf TOF 0,9 [min] |
Neostigmin (+ Atropin/ Glycopyrronium) |
Hemmung der AChE, |
Hepatische Metabolisierung renale Ausscheidung: 50% unverändert, 15% 3-Hydroxyphenyl-trimethylammonium-Ionen 15% unbekannte Metaboliten |
24–80 |
TOF 0,7–0,9 10 µg/kg TOF 0,5–0,7 20 µg/kg TOF 0,2–0,5 40 µg/kg |
9 |
Sugammadex |
Enkapsulation, Reversierung |
Keine Metabolisierung, |
120 (gesunder Erwachsener) |
PTC 1–2 4 mg/kg |
2,9 |
360 (älter >75 J., CrCl 30 ml/min) |
TOF 2/4 2 mg/kg |
2 |
|||
Sofortige Aufhebung 16 mg/kg |
1,5 |
Dosierung modifiziert nach [5]; AChE: Acetylcholinesterase; HWZ: Halbwertzeit; TOF: Train-of-Four
Seit einigen Jahren steht für die Aufhebung der Wirkung von steroidalen, nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien Sugammadex zur Verfügung (Tab. 5). Sugammadex gehört zur Gruppe der selektiven Muskelrelaxanzien bindenden Stoffe. Es ist ein modifiziertes γ-Cyclodextrin [19], das im Plasma irreversible stochiometrische Komplexe mit den steroidalen Muskelrelaxanzien (Rocuronium >Vecuronium >>Panuronium) bildet und auf diese Weise einen Konzentrationsgradienten des Muskelrelaxans aufbaut, der eine rasche Elimination des Muskelrelaxans aus dem synaptischen Spalt ermöglicht [19]. Da Sugammadex nicht an der motorischen Endplatte, sondern im Plasma wirkt, wird diese Form der Wirkungsaufhebung als Reversierung und nicht als Antagonisierung bezeichnet. Sugammadex ist in Europa zur Reversierung der Rocuronium-induzierten neuromuskulären Blockade bei Erwachsenen und Kindern ab dem 2. Lebensjahr und der Vecuronium-induzierten Blockade bei Erwachsenen zugelassen. Der klare Vorteil von Sugammadex ist, dass es auch bei tiefen Blockaden eingesetzt werden kann (ab PTC >1–2). Zudem führt es, wenn ausreichend hoch dosiert verabreicht, selbst kurz nach einer Intubationsdosis von Rocuronium zur sofortigen Aufhebung der neuromuskulären Blockade, was in einem „can not intubate, can not ventilate“-Fall lebensrettend sein kann. Sugammadex ist generell gut verträglich. Allerdings wurden Überempfindlichkeitsreaktionen gegen den Wirkstoff einschließlich Anaphylaxie sowie eine dosisabhängige Beeinträchtigung der Gerinnung berichtet und verhinderten eine FDA-Zulassung [13]. Des Weiteren wurde in seltenen Fällen eine ausgeprägte Bradykardie bis hin zum Herzstillstand beobachtet (Fachinformation, Stand Februar 2014).
Sugammadex wurde in zahlreichen Studien mit dem Standard-Reversierungsregime mit Neostigmin in Kombination mit einem Parasympatholytikum verglichen. In einem systematischen Review wurden randomisierte kontrollierte Studien, in denen die neuromuskuläre Erholung von einer tiefen und moderaten Blockade untersucht worden waren, ausgewertet. Sugammadex war der Standardtherapie in Bezug auf die Effektivität der neuromuskulären Erholung (gemessen an der mittleren Zeit zum Wiedererlangen von TOF 0,9) deutlich überlegen [20]. In einer kürzlich publizierten, randomisierten kontrollierten Studie wurde untersucht, ob Sugammadex die Inzidenz der postoperativen Restblockade reduziert [8]. In der betreffenden Studie zeigte die Sugammadex-Gruppe keine Restblockade bei der Aufnahme im Aufwachraum, während 43,4% der Patienten in der Standard-Gruppe (Neostigmin/Glykopyrronium) TOF-Werte <0,9 aufwiesen [8]. Zudem erfolgte die neuromuskuläre Erholung in der Sugammadex-Gruppe signifikant schneller. Die Patienten, die Sugammadex zur Reversierung erhielten, waren rascher extubiert und wurden zügiger aus dem Operationssaal verlegt. In jeder Gruppe erfuhr die Hälfte der Patienten mindestens ein unerwünschtes Ereignis. Die meisten waren von mildem bis moderatem Schweregrad. In der Sugammadex-Gruppe war am häufigsten (bei 13,5% der Patienten) ein transienter Blutdruckanstieg zu vermerken, ohne einen eindeutigen kausalen Zusammenhang mit der Medikamentengabe. Die Häufigkeit der schweren Ereignisse war in beiden Gruppen ähnlich (9,5% Sugammadex-Gruppe, 10,4% Standard-Gruppe). Die meisten betrafen den Gastrointestinaltrakt.
Eine weitere interessante Neuentwicklung im Bereich der selektiven Muskelrelaxanzien-binden Stoffe ist der Cucurbituril-Abkömmling Calabadion 2. Er hebt dosisabhängig eine tiefe Rocuronium-, Vecuronium- und Cis-Atracurium-induzierte Blockade auf. Die Bindung der Muskelrelaxanzien erfolgt in einem Verhältnis 1:1 wie bei Sugammadex, aber die Bindungsaffinität in vitro und die Potenz in vivo sind Sugammadex deutlich überlegen [13]. In einem Rattenmodell war Calabadion 2 gut verträglich und wurde zu einem großen Teil nach einer Stunde renal ausgeschieden. Möglicherweise steht uns in wenigen Jahren mit Calabadion 2 ein neuer Wirkstoff zur Reversierung der Wirkung nichtdepolarisierender Muskelrelaxanzien zur Verfügung.
Zusammenfassung
- Succinylcholin: schnellste Anschlagzeit, nebenwirkungsreich
- Mivacurium: sehr kurze Wirkung, Histamin-Freisetzung
- Rocuronium: sehr rasche Anschlagzeit, gute Alternative für die Ileuseinleitung
- Atracurium/Cisatracurium: organunabhängiger Abbau
- Pancuronium: lange Wirkung, kardiovaskuläre Nebenwirkungen
- Wirkdauer von Muskelrelaxanzien ist interindividuell sehr unterschiedlich
- Postoperative Restblockade ist häufig und steigert Morbidität und Mortalität
- Verwendung von quantitativem neuromuskulärem Monitoring und gegebenenfalls Reversierung reduziert die Inzidenz von Restblockaden
- Qualitatives neuromuskuläres Monitoring schließt eine neuromuskuläre Restblockade nicht aus
- Extubation ist ab TOF >0,9 möglich. Bei TOF <0,9 ist Warten oder Reversierung empfohlen
- Neostigmin kann ab TOF-Zahl 4 zur Reversierung einer Blockade durch die nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien angewendet werden
- Sugammadex hebt eine tiefe Rocuronium- und Vecuronium-induzierte Blockade (ab PTC 1–2) auf
- Intubation ohne Muskelrelaxans ist möglich, aber mit schlechteren Intubationsbedingungen und höherer laryngealen Morbidität verbunden
- Neuromuskuläre Blockade verbessert die operativen Bedingungen bei abdominellen Eingriffen
- Nach derzeitiger Studienlage kann keine Empfehlung zur Tiefe der neuromuskulären Blockade bei abdominellen Eingriffen gegeben werden.

Dr. med. Joanna Warszawska, PhD, studierte Humanmedizin an der Jagiellonen Universität in Krakau und an der Medizinischen Universität Wien. Am Forschungszentrum für molekulare Medizin der österreichischen Akademie der Wissenschaften (C-e-M-M) absolvierte sie ein PhD Studium. JW arbeitet als Assistenzärztin am Universitätsklinikum Frankfurt, Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie.
Interessenkonflikterklärung
Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Literatur
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Dr. med. Joanna Warszawska, PhD, Florian Raimann, Angelo Ippolito, Univ.-Prof. Dr. Dr. med. Kai Zacharowski, Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Pape, Universitätsklinikum Frankfurt, Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Theodor-Stern-Kai 7, 60590 Frankfurt am Main, E-Mail: JoannaMaria.Warszawska@kgu.de
Muscle relaxants in anesthesia and intensive care
Neuromuscular blockade constitutes an inherent part of the modern anesthesia. It improves the intubation conditions significantly and therefore reduces the intubation-associated laryngeal morbidity. Additionally, it improves the operative conditions in the abdominal and thoracic surgery. There are several modern muscle relaxants available e.g. Cisatracurium, which is eliminated non-enzymatically and organ-independently, and has few side effects or Rocuronium, which has a rapid onset of action and is therefore an alternative drug for the old and rich in side effects Succinylcholin during rapid sequence intubation. The ideal muscle relaxant, which would have a rapid onset of action, would be short acting, eliminated organ-independently, easy to reverse and would have no relevant side effects, has not been identified so far. Indeed, the most commonly used non-depolarising muscle relaxants lead very often to a relevant residual blockade. Most notably, the consequence of the postoperative residual curarization is the significantly increased pulmonary morbidity. The use of the objective neuromuscular monitoring techniques and block reversal (if required) helps to reduce the incidence of the postoperative residual paralysis. Rocuronium and Vecuronium induced neuromuscular blocks can be not only reversed by the Acetylcholinesterase (AChE) inhibitors (Neostigmine, Pyridostigmine), which have many side effects, but also by Sugammadex. This new reversing agent has no relevant adverse reactions and facilitates dose-dependently a quick reversal of even deep residual blocks.
Key words: anaesthesia, muscle relaxant, postoperative residual curarization, neuromuscular monitoring,reversal
Arzneimitteltherapie 2016; 34(12)