Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Patienten mit Vorhofflimmern haben ein 5-fach höheres Schlaganfallrisiko als Patienten im Sinusrhythmus. Die beste prophylaktische Therapie ist eine Antikoagulation. Diese erfolgte in der Regel bis vor einigen Jahren mit Vitamin-K-Antagonisten und seit der Zulassung in zunehmendem Maße mit den neuen nicht-Vitamin-K-antagonistischen oralen Antikoagulanzien (NOAK). Dabigatran (Pradaxa®) und Rivaroxaban (Xarelto®) wurden in zwei großen randomisierten Studien mit Warfarin verglichen. Ein indirekter Vergleich der beiden Substanzen ist nicht möglich, da die Einschlusskriterien in die beiden Studien sehr unterschiedlich waren. In die ROCKET-AF-Studie wurden Patienten mit Vorhofflimmern und deutlich höherem Schlaganfallrisiko eingeschlossen [2] als in die RELY-Studie mit Dabigatran [1]. Ein direkter Vergleich ist nur möglich, wenn die beiden Substanzen in ihrer Wirksamkeit und bezüglich ihrer Nebenwirkungen im klinischen Alltag an identischen Patientenpopulationen verglichen werden.
Es handelt sich um eine retrospektive Analyse von amerikanischen Patienten, die im Medicare-System versichert sind (Tab. 1). Im Medicare-System werden die Kosten für Medikamente bei Patienten übernommen, die älter als 65 Jahre sind. Eingeschlossen wurden 118891 Patienten mit Vorhofflimmern, bei denen erstmalig eine Behandlung mit Dabigatran 2-mal 150 mg oder Rivaroxaban 1-mal 20 mg eingeleitet wurde. Der Beobachtungszeitraum erstreckte sich von November 2011 bis Juni 2014. Das Schlaganfallrisiko bei Einschluss in die Studie wurde über Propensity-Score-Matching adjustiert. Auf diese Weise wurden vergleichbare Populationen gewonnen. Zielkriterien waren die adjustierten Hazard-Ratios für thromboembolischen Schlaganfall (ischämischer Insult), intrakranielle Blutung, schwerwiegende extrakranielle Blutung, schwerwiegende gastrointestinale Blutung und Sterblichkeit.
Es wurden 52240 Patienten mit Dabigatran und 66651 mit Rivaroxaban behandelt. Während des Beobachtungszeitraums traten 2537 primäre Ereignisse auf. Die Inzidenzraten für thromboembolische Schlaganfälle pro 1000 Personenjahre betrug 9,7 für Dabigatran und 7,7 für Rivaroxaban (Tab. 2). Dies entsprach einem Hazard-Ratio von 0,81 zugunsten von Rivaroxaban, die allerdings knapp die statistische Signifikanz verpasste. Die Inzidenzraten pro 1000 Personenjahre für intrakranielle Blutungen betrugen 5,8 für Rivaroxaban und 3,7 für Dabigatran mit einem adjustierten Hazard-Ratio von 1,65, das signifikant war. Es traten ebenfalls mehr schwerwiegende extrakranielle Blutungen unter Rivaroxaban mit 39,4 versus 26,6 und gastrointestinale Blutungen mit 32,5 versus 23,3 auf, entsprechend einem Hazard-Ratio von 1,48 und 1,40. Die Sterblichkeit war unter Dabigatran reduziert mit 22,2 versus 24,7 unter Rivaroxaban, mit einem Hazard-Ratio von 1,15, das knapp die statistische Signifikanz verfehlte. Bezüglich Myokardinfarkten bestand kein Unterschied zwischen den beiden Substanzen (Tab. 2). Bei Patienten, die älter als 75 Jahre alt waren oder Patienten mit einem CHADS2-Score von>2 führte die Behandlung mit Rivaroxaban zu einem signifikanten Anstieg der Sterblichkeit, verglichen mit Dabigatran.
Tab. 1. Rivaroxaban versus Dabigatran bei Vorhofflimmern: Studiendesign [nach Graham SJ, et al. 2016]
Erkrankung |
Schlaganfall-Prävention bei Patienten mit Vorhofflimmern |
Studienziel |
Direkter Vergleich von Dabigatran und Rivaroxaban |
Studientyp |
Retrospektive Analyse mit Medicare-Versicherten (USA) |
Studienteilnehmer |
118891 Patienten mit Vorhofflimmern, bei denen erstmalig eine Behandlung eingeleitet wurde |
Intervention |
|
Primäre Endpunkte |
Thromboembolischer Schlaganfall (ischämischer Insult), intrakranielle Blutung, schwerwiegende extrakranielle Blutung, schwerwiegende gastrointestinale Blutung, Sterblichkeit |
Sponsor |
Medicare & Medicaid Services, US Food and Drug Administration (FDA) |
Tab. 2. Rivaroxaban versus Dabigatran bei Vorhofflimmern: Studienergebnisse [nach Graham SJ, et al. 2016]
Endpunkt |
Inzidenzrate pro 1000 Personenjahre |
Adjustierte Hazard-Ratio (95%-Konfidenzintervall) |
p-Wert |
|
Rivaroxaban |
Dabigatran |
|||
Primär |
||||
Thromboembolische Schlaganfälle |
7,7 |
9,7 |
0,81 (0,65–1,01) |
0,07 |
Intrakranielle Blutungen |
5,8 |
3,7 |
1,65 (1,20–2,26) |
0,002 |
Schwerwiegende extrakranielle Blutungen |
39,4 |
26,6 |
1,48 (1,32–1,67) |
<0,001 |
Schwerwiegende gastrointestinale Blutungen |
32,5 |
23,3 |
1,40 (1,23–1,59) |
<0,001 |
Tod |
24,7 |
22,2 |
1,15 (1,00–1,32) |
0,051 |
Sekundär |
||||
Hospitalisierung aufgrund |
54,0 |
39,2 |
1,39 (1,25–1,53) |
<0,001 |
Myokardinfarkt |
11,0 |
12,9 |
0,88 (0,72–1,06) |
0,18 |
Kommentar
Die Medicare-Analyse aus den USA zeichnet sich durch sehr große Patientenzahlen aus, wodurch die Daten eine hohe Glaubwürdigkeit haben. Im Gegensatz zu den randomisierten Studien können hier die beiden Medikamente Dabigatran und Rivaroxaban verglichen werden, da die Patienten gematcht wurden bezüglich ihrer Risikofaktoren bei Therapiebeginn. Es muss allerdings berücksichtigt werden, dass in die Studie nur Patienten eingeschlossen wurden, die die hohe Dosis von Dabigatran erhielten (2-mal 150 mg). Die hohe Dosis hat per se ein höheres Blutungsrisiko als die niedrige Dosis (2-mal 110 mg), die in Deutschland bei über 75-jährigen Patienten und bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion verwendet wird. In der Summe übersteigt die Rate an schwerwiegenden Blutungskomplikationen unter Rivaroxaban den möglichen Nutzen im Vergleich zu Dabigatran bei der Verhinderung thromboembolischer Schlaganfälle. Eine Übertragung dieser Ergebnisse auf deutsche Verhältnisse ist schwierig, da in Deutschland ein hoher Prozentsatz der Patienten mit der niedrigen Dosis von Dabigatran bzw. mit einer reduzierten Dosis von 15 mg Rivaroxaban behandelt wird.
Quelle
Graham DJ, et al. Stroke, bleeding, and mortality risks in elderly medicare beneficiaries treated with dabigatran or rivaroxaban for nonvalvular atrial fibrillation. JAMA Intern Med 2016;176:1662–71.
Literatur
1. Connolly SJ, et al. Dabigatran versus warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2009;361:1139–51.
2. Patel MR, et al. Rivaroxaban versus warfarin in nonvalvular atrial fibrillation. N Engl J Med 2011;365:883–91.
Arzneimitteltherapie 2017; 35(04)