35. Jahrgang Heft 04, April 2017

EditorialDr. Stefan Fischer, Stuttgart

Ich nehme Medikamente, ergo bin ich krank

ÜbersichtMatthias D. G. Lindenau, Hamburg

Epilepsien

Absetzen von Antikonvulsiva

Epilepsien gehören zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Bei den meisten Patienten ist eine langfristige Therapie mit Antikonvulsiva erforderlich. Die vielfältigen Ursachen der Epilepsien bedingen sowohl unterschiedliche Therapien als auch eine differenzierte Prognose. Da randomisierte prospektive Studien zum Absetzen von Antikonvulsiva im Erwachsenenalter fehlen, kommt eine aktuelle Cochrane-Analyse zu dem Schluss, dass eine individualisierte Beratung anhand der bisher verfügbaren Daten erforderlich ist. Drei typische Patientenbeispiele im Artikel sollen dies illustrieren.
Arzneimitteltherapie 2017;35:104–11.

FlaggeEnglish abstract

Epilepsy: withdrawal of antiepileptic drugs

Epilepsy is one of the most common neurological diseases. Most patients need continuous therapy with antiepileptic drugs. The manifold etiologies lead to different therapy strategies as well as prognoses. Because of lacking randomized controlled studies a recent Cochrane analysis summarizes that an individualized consultation concerning antiepileptic drug withdrawal is appropriate.

Key words: Epilepsy, antiepileptic drugs, withdrawal

Arzneimittel in der DiskussionMy-Hanh Nguyen, Berlin

Venetoclax

Erster BCL2-Inhibitor zur Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie

Im Dezember 2016 hat Venclyxto™ mit dem aktiven Wirkstoff Venetoclax von der Europäischen Kommission als erster B-Zell-Lymphom-BCL2-Inhibitor die Zulassung erhalten. Venetoclax ist indiziert als Monotherapie zur Behandlung von Erwachsenen mit chronisch lymphatischer Leukämie (CLL) mit oder ohne 17p-Deletion oder TP53-Mutation, denen nicht durch eine Chemo-Immuntherapie oder eine Behandlung mit einem Inhibitor des B-Zell-Rezeptor-Signalwegs geholfen werden kann. Eine klinische Studie der Phase II mit 107 vorbehandelten CLL-Patienten, die eine 17p-Deletion vorwiesen, zeigte eine Gesamtansprechrate (ORR) für Venetoclax von 79%. Eine weitere klinische Studie der Phase II mit Venetoclax bei 64 CLL-Patienten, die entweder mit Ibrutinib oder Idelalisib erfolglos vorbehandelt wurden, ergab eine ORR von 64%.
Arzneimitteltherapie 2017;35:115–9.

FlaggeEnglish abstract

Venetoclax – First BCL2 inhibitor for treatment of chronic lymphocytic leukemia

In December 2016 venetoclax (Venclyxto™) was granted market approval by the European Commission (EC). Venetoclax is indicated as monotherapy for the treatment of adults with chronic lymphocytic leukaemia (CLL) who have 17p deletion or TP53 mutation and who are unsuitable or have shown no response to a B-cell receptor pathway inhibitor. Furthermore, venetoclax is indicated for treatment of adult CLL-patients without 17p deletion or TP53 mutation who have failed treatment with chemoimmunotherapy and a B-cell receptor pathway inhibitor. Venetoclax was approved by the EC as the first-in-class selective inhibitor of the BCL2 protein, which prevents the apoptosis of cells such as CLL cells. An overexpression of BCL2 often occurs in hematologic malignancies. Therefore, venetoclax has received orphan drug designation not only for the treatment of CLL, but also for multiple myeloma, diffuse large B-cell lymphoma and most recently for acute myeloid leukaemia in February 2017.

Key Words: chronic lymphocytic leukaemia, venetoclax, BCL2 inhibitor

Neue Arzneimittel in der Diskussion

Venetoclax

Interview mit Professor Dr. med. Stephan Stilgenbauer, Ulm

Klinische StudieDr. med. Marianne Schoppmeyer, Nordhorn

Multiple Sklerose (MS)

Ocrelizumab verhindert Fortschreiten der neurologischen Behinderung bei MS

Der monoklonale Anti-CD20-Antikörper Ocrelizumab verlangsamt als erste Substanz das Fortschreiten der körperlichen Behinderung bei Menschen mit primär-progredienter multipler Sklerose (PPMS) in einer Phase-III-Studie (ORATORIO). Zudem schneidet er auch in zwei weiteren Phase-III-Studien bei der schubförmig remittierenden multiplen Sklerose (RMS) signifikant besser ab als eine hochdosierte Therapie mit Interferon beta-1a (OPERA I und II). Diese Studien sind die Grundlage für eine noch in diesem Jahr angestrebte Zulassung der Substanz in Europa.

Referiert & kommentiert: TherapiehinweiseDr. Barbara Ecker-Schlipf, Holzgerlingen

Rheumatoide Arthritis

Wirksamkeitsvergleich von Certolizumab Pegol und Adalimumab

Bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis zeigte Certolizumab Pegol im Vergleich zu Adalimumab eine vergleichbare Wirksamkeit und Sicherheit. Ein Wechsel auf einen zweiten TNF-Inhibitor, nachdem der erste nicht angesprochen hatte, erwies sich als wirksam und sicher.

Referiert & kommentiert: TherapiehinweiseDr. Dr. Tanja Neuvians, Ladenburg

Kindliche Migräne

Migräne-Prophylaxe mit Amitriptylin oder Topiramat bei Kindern nicht besser als Placebo

Bisher gibt es keine empfohlene, medikamentöse Therapie, die Migräneattacken bei Kindern nachweislich vorbeugt. Die vorliegende Studie untersucht, ob Amitriptylin oder Topiramat besser wirken als Placebo. Es ergaben sich keine signifikanten Unterschiede. Nebenwirkungen traten in der Medikamentengruppe häufiger auf. Die Studie wurde vorzeitig beendet.

Referiert & kommentiert: TherapiehinweiseProf. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Alzheimer-Erkrankung

Methylenblau-Derivat zur Aggregationshemmung von Tau bei Morbus Alzheimer nicht wirksam

Mit einem Kommentar des Autors
Leuco-methylthioninium-bis(hydromethansulfonat) (LMTM), ein Derivat von Methylenblau, das im Tiermodell der Alzheimer-Erkrankung die Aggregation von Tauprotein hemmt, ist bei der leichten bis mittelschweren Alzheimer-Erkrankung bei Menschen nicht wirksam.

Referiert & kommentiert: TherapiehinweiseProf. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Schlaganfall-Prävention

Effektivität und Risiko einer Schlaganfall-Prophylaxe mit Dabigatran oder Rivaroxaban bei älteren …

Mit Autorenkommentar
In einer Anwendungsbeobachtung bei über 65-jährigen Patienten mit Vorhofflimmern in den Vereinigten Staaten reduzierte Rivaroxaban im Vergleich zu Dabigatran tendenziell die Häufigkeit thromboembolischer Schlaganfälle. Rivaroxaban führte allerdings zu einer signifikant höheren Rate an intrakraniellen Blutungen, schwerwiegenden extrakraniellen Blutungen und schwerwiegenden gastrointestinalen Blutungen.

Referiert & kommentiert: TherapiehinweiseDr. Stefan Fischer, Stuttgart

Hypertonie

Betablocker in der Erstlinientherapie

Mit einem Kommentar von Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
In einem Review der Cochrane Library vom Juni 2016 zeigten sich in der Erstlinientherapie keine Vorteile für Betablocker im Vergleich zu anderen Arzneistoffen. Gegenüber Placebo wurde zwar die Anzahl der Schlaganfälle reduziert, nicht jedoch die Mortalität. Insgesamt ist die Datenlage aber nicht ausreichend, um verlässliche Aussagen treffen zu können.

Referiert & kommentiert: Kongresse, Symposien, KonferenzenDr. Claudia Bruhn, Schmölln

Gerontopsychiatrie

Depression im Alter rechtzeitig erkennen und adäquat behandeln

Auch im höheren Lebensalter birgt eine unbehandelte Depression ein hohes Suizidrisiko. Daher sollte die Diagnostik darauf ausgerichtet sein, sie frühzeitig zu erkennen. Welche Antidepressiva sich für das höhere Lebensalter am besten eignen, wurde auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) im November in Berlin diskutiert.

PressekonferenzAbdol A. Ameri, Weidenstetten

Schwere Hämophilie A

Halbwertszeitverlängerte Faktorenkonzentrate erhöhen die Flexibilität in der Prophylaxe

Neue halbwertszeitverlängerte rekombinante Faktorenkonzentrate können die Prophylaxe und Blutungskontrolle bei Patienten mit Hämophilie in Zukunft deutlich verändern. Einerseits ermöglicht eine verlängerte Wirkdauer eine Abnahme der Injektionsfrequenz; andererseits lässt sich mit den neuen Konzentraten bei Pharmakokinetik-unterstützter Prophylaxe das Dosisregime noch besser auf die persönlichen Bedürfnisse des jeweiligen Patienten abstimmen. Einer der neuen halbwertszeitverlängerten Produkte ist der pegylierte rekombinante Faktor VIII Rurioctocog alfa pegol (BAX 855).

PressekonferenzDr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Hämatoonkologie

Fortschritte durch neue und bekannte Wirkstoffe

Zielgerichtete Therapien haben Einzug gehalten in die Behandlung der hämatoonkologischen Erkrankungen. Dazu gehört der Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor Ibrutinib bei der chronischen lymphatische Leukämie (CLL), der sich in einer neuen Studie (RESONATE-2) bei älteren Patienten als Erstlinienbehandlung dem bisherigen Standard Chlorambucil als überlegen erwies. Ein neues vielversprechendes Therapiekonzept für myeloische Erkrankungen ist der Telomerase-Inhibitor Imetelstat. Neue Daten zu diesen Wirkstoffen wurden im Rahmen eines Post-ASH-Workshops der Firma Janssen vorgestellt.

PressekonferenzDr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

HR+/HER2- metastasiertes Mammakarzinom

CDK4/6-Inhibitor Palbociclib durchbricht die endokrine Resistenz

Für Patientinnen mit einem lokal fortgeschrittenen oder metastasierten HR-positiven, HER2-negativen (HR+/HER2–) Mammakarzinom steht nun mit Palbociclib als neues zielgerichtetes Therapieprinzip ein CDK4/6-Inhibitor zur Verfügung, der in Kombination mit einer endokrinen Therapie im Vergleich zur alleinigen endokrinen Therapie die progressionsfreie Überlebenszeit verdoppelt. Die Ergebnisse der Zulassungsstudien wurden im Rahmen eines von der Firma Pfizer veranstalteten Pressegesprächs präsentiert und diskutiert.