Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
Im Jahr 1938 wurden die natürlichen Chromsomenenden entdeckt und als Telomere bezeichnet. Später fand man, dass diese Endteile aus einem sich mehrfach wiederholenden Muster bestehen und wie Schutzkappen für die Chromosomen wirken, aber bei jeder Zellteilung schrumpfen. Darüber hinaus wurde das Enzym Telomerase entdeckt, das dem Telomerenverlust entgegenwirkt, indem dieses Enzym die Telomere wieder verlängert. Doch in malignen hämatopoetischen Progenitorzellen ist die Telomerase-Aktivität hochreguliert, was zu einer unkontrollierten Proliferation dieser Zellen führt, während bei Gesunden die Telomerase nur transient hochreguliert ist (im Sinne einer kontrollierten Proliferation). Somit fungiert die Telomerase bei myeloproliferativen Erkrankungen als Proliferationsmarker. Dies ist der Ansatzpunkt für die Entwicklung einer neuen Substanzklasse, den Telomerase-Inhibitoren.
Telomerase-Inhibitor bei myeloischen Erkrankungen
Der erste Vertreter dieser Substanzklasse ist Imetelstat, ein Lipid-konjugiertes Oligonukleotid. Die Substanz ist ein kompetitiver Hemmstoff der Telomerase, der in Knochenmark, Milz und Leber bei einer Dosierung von 7,5 bis 11,7 mg/kg Körpergewicht eine relativ lange Halbwertszeit von 41 Stunden zeigt.
Essenzielle Thrombozythämie
Erste Erfahrungen in einer kleinen klinischen Studie bei 18 Patienten mit einer essenziellen Thrombozythämie, die auf eine vorangegangene Therapie nicht angesprochen hatten oder diese nicht vertragen hatten, zeigten einen signifikanten Effekt auf die Krankheitslast, wobei Neutropenie und eine Erhöhung der Leberwerte die häufigsten Nebenwirkungen darstellten [1].
Myelofibrose
Auch bei 33 Patienten mit einer Myelofibrose wurde Imetelstat im Rahmen einer offenen Phase-II-Studie eingesetzt und zwar als i.v. Infusion in einer Dosierung von 9,4 mg/kg Körpergewicht über neun Zyklen, wobei 52% dieser Patienten zur Hochrisikogruppe und 48% zur intermediären Risikogruppe gehörten. 79% dieser Patienten waren vorbehandelt und 48% hatten bereits einen JAK-Inhibitor erhalten.
Sieben Patienten (21%) zeigten ein Ansprechen, davon vier Patienten sogar eine komplette Remission. Bei allen vier Patienten mit kompletter Remission fand sich eine Rückbildung der Fibrose im Knochenmark und bei drei Patienten auch eine molekulare Remission. Bis zum Eintritt der klinischen Wirkung vergingen im Durchschnitt 3,5 Monate und die Dauer der Remission betrug im Median 18 Monate. Die Wirksamkeit von Imetelstat korrelierte nicht mit der Länge der Telomere.
Die häufigste Nebenwirkung war die Knochenmarksuppression und der Hauptgrund für eine Dosisreduktion, die bei 22 Patienten (67%) notwendig war.
21% der Patienten entwickelte unter der Therapie mit Imetelstat eine Thrombozytopenie Grad 4, 18% eine Neutropenie Grad 4 und 52% eine Anämie Grad 3. Fieberepisoden traten bei 21%, Epistaxis bei 18%, Hämatome bei 6%, Lungeninfektionen bei 6% und Hautinfektionen bei 3% der Patienten auf [3].
Myelodysplastisches Syndrom
Der Einsatz von Imetelstat erscheint auf Basis von theoretischen Überlegungen auch beim myelodysplastischen Syndrom (MDS) sinnvoll: Bei diesem Krankheitsbild ist die Telomerase-Aktivität signifikant erhöht und eine hohe Telomerase-Aktivität korreliert mit einer schlechten Prognose. Außerdem ist die durchschnittliche Telomerenlänge signifikant kürzer als bei gesunden Kontrollen. In einer Pilotstudie wurden neun MDS-Patienten mit Imetelstat behandelt bei einer medianen Behandlungsdauer von 49 Wochen. Drei von acht Patienten wurden transfusionsunabhängig für eine Dauer von 9, 24 und 48 Wochen. Bei vier Patienten fand sich ein Hämoglobin-Anstieg >1,5 g/dl. Diese Daten sind vielversprechend vor allem im Hinblick auf Patienten mit einem EPO-Versagen oder einer geringen Wahrscheinlichkeit, auf eine EPO-Therapie anzusprechen, für die es bisher keine Therapiemöglichkeit gibt.
Bei älteren Patienten ist Ibrutinib Chlorambucil überlegen
Die CLL ist eine Erkrankung, die vorwiegend ältere Menschen betrifft. Die Therapie bei diesen älteren Patienten ist aber mit einer Reihe von Problemen insbesondere Komorbiditäten und Limitationen assoziiert. Fludarabin-basierte Therapieregime sind daher in dieser Altersgruppe ungeeignet. Chlorambucil gilt deshalb bisher bei solchen Patienten als Erstlinien-Standardtherapie.
Aufgrund der überzeugenden Phase-II-Studiendaten (PCYC-1102 und PCYC-1103) wurde der Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor Ibrutinib auch als Monotherapie, also ohne Chemotherapie, für die Erstlinientherapie der CLL zugelassen.
Im Rahmen einer Phase-III-Studie (RESONATE-2™-Studie, PCYC-1115) wurde die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Ibrutinib (Imbruvica®) bei Patienten ≥65 Jahre untersucht und zwar im Vergleich mit Chlorambucil. Patienten mit Del17p waren ausgeschlossen.
Erste Analysen ergaben bei einem medianen Follow-up von 18,4 Monaten eine Abnahme der Mortalität unter Ibrutinib (136 Patienten) im Vergleich zu Chlorambucil (133 Patienten) von relativ 84%, wobei Ibrutinib bezüglich progressionsfreien Überlebens (PFS), Gesamtüberlebens (OS), objektiver Ansprechrate (ORR), der hämatologischen Parameter, aber auch des Sicherheitsprofils überlegen war. Jetzt wurden die Ergebnisse nach einem medianen Follow-up von 29 Monaten präsentiert. Auch in dieser Studie erwiesen sich eine fehlende IGHV-Mutation und ein Del11q als ungünstige Prädiktoren.
Danach war das mediane PFS unter Ibrutinib noch nicht erreicht, bei Chlorambucil lag es bei 15 Monaten. Nach 24 Monaten betrug das PFS unter Ibrutinib 89% im Vergleich zu 34% unter Chlorambucil (Hazard-Ratio [HR] 0,121; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,074–0,198; p<0,0001). Das entspricht einer Abnahme des Risikos für Progression oder Tod unter Ibrutinib im Vergleich zu Chlor-ambucil um 88%, wobei der Benefit in allen Subgruppen nachgewiesen werden konnte. Bei ungünstigen Prädiktoren war die Überlegenheit von Ibrutinib noch ausgeprägter als im Gesamtkollektiv. So lag bei Patienten mit Del11q die Risikoreduktion sogar bei 99% im Vergleich zu 82% ohne Del11q. Bei fehlender IGHV-Mutation lag die Risikoreduktion bei 83%, bei einer IGHV-Mutation bei 92%.
Das OS im Gesamtkollektiv betrug nach 24 Monaten 95% unter Ibrutinib, aber nur 84% unter Chlorambucil.
Die Gesamtansprechrate lag unter Ibrutinib bei 92%, wobei in 18% der Fälle eine komplette und in 71% eine partielle Remission erreicht wurde. Bei Del11q sprachen 100% auf Ibrutinib an (14% komplette Remission, 86% partielle Remission), ohne Del11q waren es 90% (20% komplette und 67% partielle Remission). Die Erfolgsrate nahm im Verlauf der Therapie mit Ibrutinib zu.
Eine anhaltende Verbesserung des roten Blutbilds konnte mit Ibrutinib bei 90%, mit Chlorambucil dagegen nur bei 45% der Patienten erreicht werden. Die Thrombozytenwerte verbesserten sich unter Ibrutinib bei 80%, unter Chlorambucil dagegen nur bei 46%.
79% der Patienten blieben während der gesamten Studienlaufzeit unter der Ibrutinib-Therapie; 83% behielten die Therapie zumindest zwei Jahre bei.
Eine stärkere Blutung trat unter Ibrutinib bei 7% und ein Vorhofflimmern bei 10% der Patienten auf. Am häufigsten wurden Neutropenie, Pneumonie, Anämie, Hypertonie, Hyponatriämie und Vorhofflimmern als Nebenwirkungen beobachtet [2].
Fazit
Der Telomerase-Inhibitor Imetelstat erwies sich in ersten kleinen Studien als ein neues vielversprechendes Therapiekonzept bei der essenziellen Thrombozythämie, der Myelofibrose und dem myelodysplatischen Syndrom. Der Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor Ibrutinib war in der RESONATE-2-Studie bei älteren CLL-Patienten als First-Line-Therapie dem bisherigen Standard Chlorambucil überlegen.
Quelle
Dr. Judith Neukirchen, Düsseldorf, Prof. Jan Dürig, Essen; Post-ASH-Presseworkshop „Aktuelles vom ASH zu neuen und bekannten Wirkstoffen von Janssen in der Hämatologie“, Frankfurt a. M., 7. Februar 2017, veranstaltet von Janssen-Cilag.
Literatur
1. Baerlocher GM, et al. Telomerase inhibitor imetelstat in patients with essential thrombocythemia. N Engl J Med 2015;373:920–8.
2. Barr P, et al. Updated efficacy and safety from the phase 3 RESONATE-2™ study: Ibrutinib as first-line treatment option in patients 65 years and older with chronic lymphocytic leukemia/small lymphocytic lymphoma. ASH 2016, Abstract #233.
3. Tefferi A, et al. A pilot study of the telomerase inhibitor imetelstat for myelofibrosis. N Engl J Med 2015;373:908–19.
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Arzneimitteltherapie 2017; 35(04)