Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
Thrombozytenfunktionshemmer, insbesondere Acetylsalicylsäure, sind Therapie-Standard in der Sekundärprävention nach Herzinfarkt und Schlaganfall. In Europa nimmt die Hälfte aller Menschen im Alter über 75 Jahren Thrombozytenfunktionshemmer. Bei nachgewiesenem therapeutischen Nutzen in der Sekundärprävention besteht aber ein nicht unerhebliches Blutungsrisiko, insbesondere für gastrointestinale Blutungen, wobei das Blutungsrisiko mit dem Alter zunimmt. Bisher waren Blutungskomplikationen bei älteren Menschen nicht über längere Zeiträume untersucht worden. Weiterhin war unklar, ob in der Langzeittherapie Protonenpumpenhemmer das Risiko oberer gastrointestinaler Blutungen reduzieren können. Beide Fragen wurden jetzt in der Oxford Vascular Study untersucht.
Es handelte sich um eine prospektive populationsbezogene Kohorten-Studie bei Patienten in Oxfordshire mit einer transienten ischämischen Attacke (TIA), einem ischämischen Insult oder einem Herzinfarkt, die zwischen 2002 und 2012 mit einem Thrombozytenfunktionshemmer behandelt wurden (Tab. 1). Die meisten Patienten erhielten Acetylsalicylsäure. Erfasst wurden das Auftreten, die Schwere und die Folgen von Blutungskomplikationen. Weiterhin wurde erfasst, ob die betroffenen Patienten Protonenpumpenhemmer einnahmen oder nicht.
Tab. 1. Studiendesign Oxford Vascular Study (OXVASC) [nach Li et al. 2017]
Erkrankung |
Sekundärprävention nach Herzinfarkt und Schlaganfall |
Studienziel |
Blutungsrisiko bei älteren Menschen |
Studientyp |
Beobachtungsstudie |
Studiendesign |
Prospektive populationsbezogene Kohorten- |
Eingeschlossene Patienten |
3166 Patients (1582 [50%] ≥75 Jahre), die zum ersten Mal im Rahmen der Studie einen akute transiente ischämische Attacke, einen ischämischen Schlaganfall oder einen Myokardinfarkt hatten und in der Studie mit Thrombozytenfunktionshemmern behandelt wurden |
Sponsor |
Wellcome Trust, Wolfson Foundation, British Heart Foundation, Dunhill Medical Trust, National Institute of Health Research (NIHR), NIHR Oxford Biomedical Research Centre |
In die Studie wurden 3166 Patienten aufgenommen, von denen 1582 (50%) älter als 50 Jahre waren. Jeweils ein Drittel der Patienten hatte einen ischämischen Insult, eine TIA oder einen Myokardinfarkt erlitten. 96% der Patienten wurden mit Acetylsalicylsäure und 4% mit anderen Thrombozytenfunktionshemmern behandelt. In dem zehnjährigen Beobachtungszeitraum traten 405 erste schwerwiegende Blutungsereignisse auf, davon waren 218 gastrointestinale Blutungen, 45 intrakranielle Blutungen und 142 andere Blutungen. Das Risiko schwerwiegender Blutungen nahm mit dem Alter zu. So betrug das Hazard-Ratio [HR] für eine schwerwiegende Blutungskomplikation für das Alter über 75 Jahre verglichen mit unter 75 Jahren 3,10 bei einem p-Wert <0,0001. Tödliche Blutungen hatten ein HR von 5,53 (95%-KI 2,65–11,54; p<0,0001). Dieselben Ergebnisse wurden für obere gastrointestinale Blutungen beobachtet mit einem HR von 4,13 (95%-KI 2,60–6,57; p<0,0001), insbesondere gastrointestinale Blutungen, die eine schwerwiegende Behinderung hinterließen oder tödlich waren (HR 10,26; 95%-KI 4,37–24,13; p<0,0001). Bei über 75-Jährigen waren 62% der oberen gastrointestinalen Blutungen schwerwiegend oder tödlich. Gastrointestinale Blutungen waren deutlich häufiger als intrazerebrale oder intrakranielle Blutungen. Verglich man Patienten, die Protonenpumpenhemmer einnahmen, mit solchen, die diese prophylaktische Therapie nicht erhielten, betrug die Numbers needed to treat für Menschen im Alter über 85 Jahre 25, um eine schwere Blutung zu vermeiden.
Kommentar
Die vorliegende Studie aus England ist keine randomisierte Therapie-Studie, sondern eine Langzeit-Beobachtungsstudie in einem geographisch definierten Gebiet. Die Studie zeigt, dass bei einer Langzeitprophylaxe vaskulärer Erkrankungen mit Acetylsalicylsäure das Risiko schwerwiegender Blutungen insbesondere oberer gastrointestinaler Blutungen höher ist als in den Therapie-Studien, die meist nur zwei bis vier Jahre dauern. Die meisten randomisierten Therapie-Studien haben auch einen geringeren Anteil an alten Menschen. Die Studie zeigt auch, dass sehr wahrscheinlich alte Menschen von der Einnahme von Protonenpumpenhemmern profitieren, um schwerwiegende obere gastrointestinale Blutungen zu vermeiden. Dieses Ergebnis ist von großer Bedeutung, zumal in letzter Zeit eine Reihe von Registerstudien zum Einsatz von Protonenpumpenhemmern publiziert wurden, die Ärzte und Patienten massiv verunsichert haben. Dazu gehören Studien, die unterstellen, dass es unter Protonenpumpenhemmern häufiger zu einer Demenz kommen soll. Diese Registerstudien hatten allerdings schwerwiegende methodische Mängel.
Quelle
Li L, et al. Age-specific risks, severity, time course, and outcome of bleeding on long-term antiplatelet treatment after vascular events: a population-based cohort study. Lancet 2017;390:490–9.
Arzneimitteltherapie 2017; 35(09)