Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim
In Europa und Nordamerika sind etwa 2% der Allgemeinbevölkerung von einer chronischen Psoriasis betroffen – und die Psoriasis vulgaris ist die häufigste Manifestation (bei 80–90% der Patienten). Die Symptome der chronisch entzündlichen Erkrankung umfassen erythematös-schuppige Plaques vor allem an den Streckseiten der Gelenke (Ellenbogen, Knie), begleitet von einem oft schmerzhaften Juckreiz.
Proinflammatorische Interleukine, die von Th17-Zellen freigesetzt werden, haben sich als wesentliche Mediatoren bei der Vermittlung der entzündlichen Reaktionen der Psoriasis herauskristallisiert. Eine Schlüsselrolle spielt dabei Interleukin 23: Es führt zur übermäßigen Proliferation der umliegenden Keratinozyten, die dann zu dem typischen Hautbild führt. Tildrakizumab ist ein vollständig humanisierter monoklonaler Antikörper, der sich spezifisch und mit hoher Affinität gegen die p19-Untereinheit von Interleukin 23 richtet (Abb. 1). Er zeigte in Phase-I- und Phase-II-Studien ermutigende Ergebnisse und eine internationale Arbeitsgruppe hat den Wirkstoff nun in zwei Phase-III-Studien weiter getestet.

Abb. 1. Wirkungsmechanismen von Interleukin-Inhibitoren bei Psoriasis. Ursache der Psoriasis ist eine Überaktivität von Immunzellen, die Zytokine wie TNF-α ausschütten (1) und dadurch myeloide dendritische Zellen aktivieren (2). Die aktivierten Zellen sezernieren die Interleukine 12 und 23, die T-Helferzellen aktivieren (3). Th1-Zellen halten durch die Sekretion von TNF-α und Interferon-γ die Entzündungsprozesse in Gang (4), während Th17-Zellen durch die Sekretion von Interleukin 17A die übermäßige Proliferation der Keratinozyten (Haut) veranlassen, die wiederum das Immunsystem aktiviert [mod. nach Dtsch Apo Ztg 2016;156(15):52–6]
reSURFACE 1 und reSURFACE 2
In den beiden Studien wurde Tildrakizumab mit Placebo (reSURFACE 1) beziehungsweise Placebo und Etanercept (reSURFACE 2) verglichen (Tab. 1). Tildrakizumab wurde in der jeweiligen Dosierung in Woche null (Studienbeginn) und Woche vier verabreicht, Etanercept zweimal pro Woche.
Tab. 1. Studiendesign von reSURFACE 1 und reSURFACE 2 [nach Reich et al.]
Erkrankung |
Psoriasis vulgaris |
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Studienziel |
Wirksamkeit und Verträglichkeit von Tildrakizumab bei Patienten mit moderater bis schwerer Psoriasis vulgaris |
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Studientyp |
Interventionsstudie |
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Studienphase |
Phase III |
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reSURFACE 1 |
reSURFACE 2 |
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Studiendesign |
Multizentrisch, randomisiert, doppelblind, Placebo- kontrolliert, parallel |
Multizentrisch, randomisiert, doppelblind, Placebo- und aktiv (Etanercept) kontrolliert, parallel |
Eingeschlossene Patienten |
772 |
1090 |
Intervention |
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Primäre Endpunkte |
Erreichen einer mindesten 75%igen Verbesserung im PASI (PASI 75) und maximal ein Punkt laut PGA („klares Hautbild“ bzw. „minimale Effloreszenzen“) in Woche 12 |
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Sekundäre Endpunkte |
Erreichen eines PASI 90 und PASI 100 in Woche 12, Lebensqualität laut Dermatology Quality of Life Index in Woche 12 und Woche 28 |
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Sponsor |
Merck |
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Studienregisternummer |
NCT01722331 (ClinicalTrials.gov) |
NCT01729754 (ClinicalTrials.gov) |
PASI: Psoriasis Area and Severity Index; PGA: Physician’s Global Assessment Scale
Moderate bis schwere Psoriasis war folgendermaßen definiert: Anteil der betroffenen Körperoberfläche von mindestens 10%, Punktwert auf der Physician’s Global Assessment Scale (PGA) von mindestens drei und ein Psoriasis Area and Severity Index (PASI) von mindestens zwölf zu Studienbeginn.
Ergebnisse
In reSURFACE 1 zeigten beide Tildrakizumab-Dosierungen beim Erreichen der koprimären Endpunkte eine statistisch signifikante Überlegenheit im Vergleich zu Placebo. Diese Überlegenheit fand sich auch in reSURFACE 2, und hier sowohl gegenüber Placebo als auch gegenüber der aktiven Vergleichssubstanz Etanercept (Tab. 2).
Tab. 2. Ergebnisse bei den koprimären Endpunkten in reSURFACE 1 und reSURFACE 2 [nach Reich et al.]
reSURFACE 1 |
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Tildrakizumab 200 mg |
Tildrakizumab 100 mg |
Placebo |
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PASI 75 |
62% |
64% |
6% |
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PGA 0–1 Punkte |
59% |
58% |
7% |
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reSURFACE 2 |
||||
Tildrakizumab 200 mg |
Tildrakizumab 100 mg |
Placebo |
Etanercept |
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PASI 75 |
66% |
61% |
6% |
48% |
PGA 0–1 Punkte |
59% |
55% |
4% |
48% |
PASI: Psoriasis Area and Severity Index; PGA: Physician’s Global Assessment Scale
Bei den sekundären Endpunkten PASI 90, PASI 100 und Lebensqualität erwiesen sich in reSURFACE 1 sowohl Tildrakizumab 100 mg als auch 200 mg gegenüber Placebo überlegen. Ähnliches galt für reSURFACE 2 im Vergleich mit Placebo und Etanercept. Lediglich bei der Beurteilung der Lebensqualität schnitten Tildrakizumab 100 mg und Etanercept ähnlich ab.
Unerwünschte Wirkungen
Schwere unerwünschte Wirkungen, die zum Studienabbruch führten, waren insgesamt selten (bis Woche 12 maximal 2% unter der höchsten Tildrakizumab-Dosierung bzw. unter Etanercept). Insgesamt am häufigsten traten in allen Studienarmen Nasopharyngitiden auf. Haureaktionen am Injektionsort fanden sich bei etwa 1% der Tildrakizumab-Patienten im Vergleich zu 9% der Etanercept-Patienten. Schwere Infektionen als relevante Nebenwirkung biologischer Therapien wurden bei maximal 1% der Patienten diagnostiziert, auch Malignome waren selten und umfassten vor allem Hautkarzinome (keine Melanome). Allerdings ist die Nachbeobachtungszeit dafür auch noch relativ kurz.
Ein Patient unter Tildrakizumab 100 mg starb an Tag 96, bei ihm lag eine alkoholische Kardiomyopathie und Steatohepatitis vor. Die Todesursache konnte nicht mit Sicherheit geklärt werden.
Diskussion
Nach diesen Daten scheint Tildrakizumab bei moderater bis schwerer Psoriasis vulgaris eine wirksame und sichere Ergänzung der derzeitigen therapeutischen Optionen. Die beiden reSURFACE-Studien wurden über Woche zwölf hinaus mit Re-Randomisierung der Patienten, die auf die Therapie ansprachen, fortgesetzt und führten dabei bis Woche 28 zu ähnlich guten Outcomes.
Diese Ergebnisse zeigen auch, dass offenbar Interleukin 23 als Ziel-Angriffspunkt von Tildrakizumab den primären Mediator bei der Entstehung der entzündlichen psoriatischen Veränderungen darstellt. Die zusätzliche Hemmung von Interleukin 12, wie sie zum Beispiel unter Ustekinumab geschieht, scheint dagegen für eine wirksame Beeinflussung der Effloreszenzen nicht unbedingt erforderlich zu sein.
Allerdings benötigen die betroffenen Patienten im Allgemeinen eine Therapie über Jahrzehnte, wenn nicht sogar lebenslang. Daher sind weitere Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten erforderlich; dazu laufen derzeit offene Extensionsstudien.
Quelle
Reich K, et al. Tildrakizumab versus placebo or etanercept for chronic plaque psoriasis (resurface 1 and resurface 2): results from two randomised controlled, phase III trials. Lancet 2017;390:276–88.
Interview mit Professor Dr. Kristian Reich, Hamburg
AMT: Tildrakizumab richtet sich (im Gegensatz zu Ustekinumab) nur gegen IL-23. Vorteil oder Nachteil?
KR: Zahlreiche Firmen beschäftigen sich mit der Entwicklung von IL-23-Only-Blockern für die Psoriasis-Therapie. In der Pipeline befinden sich neben Tildrakizumab noch Guselkumab und Risankizumab.
IL-23 hat zwei Untereinheiten. Die p40-Untereinheit teilt sich IL-23 mit IL-12; sie ist die Zielstruktur von Ustekinumab. Soll IL-23 allein blockiert werden, muss die p19-Untereinheit adressiert werden. Deswegen wird diese neue Wirkstoffgruppe auch als IL-23p19-Inhibitoren bezeichnet.
Wahrscheinlich hemmt Ustekinumab in der Dosis und in der Art und Weise, wie wir es geben, den IL-23-Weg nur begrenzt. Insofern sehen wir zumindest mit einigen der neuen IL-23-Blocker deutlich höhere Ansprechraten als mit Ustekinumab. Das gilt besonders für Guselkumab und Risankizumab, wobei für Letzteres bislang nur Phase-II-Daten vorliegen. Tildrakizumab braucht offensichtlich längere Zeit, um sein volles Potenzial zu entfalten. In der Zusammenschau der Daten glauben wir im Moment, dass es eher ein Vorteil ist, nur (aber stärker) IL-23 zu hemmen.
AMT: Die 100-mg-Dosierung zeigte bei der PGA-Response zu Woche 12 gegenüber Etanercept keinen signifikanten Vorteil. Sollte die Zulassung der 200-mg-Dosierung angestrebt werden oder war der primäre Endpunkt vielleicht zu früh gesetzt?
KR: Für die 100-mg-Dosierung war die PASI-75-Antwort an Woche 12 zu Etanercept signifikant unterschiedlich, die noch etwas höhere Latte der PGA-Antwort verfehlte die Signifikanz gerade eben. Aber Sie haben recht: Tildrakizumab benötigt länger, um sein Potenzial gerade bezüglich der deutlichen Verbesserungen wie PASI 90 oder PGA 0/1 („clear“ oder „almost clear“) auszuspielen – für diese klinischen Effekte zeigen die Woche-28-Daten klar höhere Werte als die Daten zum Zeitpunkt des primären Endpunkts an Woche 12. Um frühzeitig schon die volle Wirksamkeit zu erreichen, müsste wahrscheinlich noch höher und/oder in kürzeren Intervallen dosiert werden. Zum Thema der besten Dosierung für die Praxis: Ich erwarte bei schwer zu behandelnden Subgruppen, also zum Beispiel Patienten mit hohem Gewicht und mehreren unwirksamen Vortherapien in der Anamnese, ein besseres Ansprechen der höheren Dosierung. Auch scheint die 200-mg-Dosierung in der Langzeitwirksamkeit der 100-mg-Dosierung überlegen zu sein. Insofern sollte man eine Zulassung der 200-mg-Dosierung anstreben.
AMT: Wo sehen Sie Tildrakizumab im Therapiealgorithmus der Plaque-Psoriasis? Vor oder nach Etanercept?
KR: Alle IL-23-Blocker scheinen Etanercept in der Therapie der Plaque-Psoriasis überlegen. Im Moment wissen wir noch nicht genau, wie gut die IL-23-Blocker z.B. bei Psoriasis-Arthritis wirken – eine Manifestation, bei der Etanercept eine gute Wirksamkeit zeigt. Aber bei einem Patienten, der nur eine Plaque-Psoriasis ohne Arthritis hat, sehe ich keinen Grund, warum nicht ein Medikament wie Tildrakizumab vor Etanercept gegeben werden soll, zumal sich bisher keine Unterschiede im Sicherheitsprofil gezeigt haben und das Tuberkulose-Risiko bei IL-23p19-Blockade geringer sein sollte.
AMT: Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Arzneimitteltherapie 2017; 35(09)