Palliativmedizin bei COPD


Alina Marheineke, Constanze Rémi und Claudia Bausewein, München*

Patienten mit einer unheilbaren und lebensbedrohlichen Erkrankung sollten zur Linderung belastender Symptome und Unterstützung im Krankheitsprozess Zugang zu palliativmedizinischen Versorgungstrukturen haben. Palliative Care beschränkt sich dabei nicht nur auf Patienten mit Tumorerkrankungen, sondern richtet sich auch an Menschen, die von anderen fortgeschrittenen lebenslimitierenden Erkrankungen betroffen sind. Gerade bei fortgeschrittener Erkrankung können die Bedürfnisse von Patienten mit COPD vielfältig sein und situationsabhängig variieren. Das subjektive Empfinden von Atemnot bei Patienten mit COPD kann mit nichtmedikamentösen und medikamentösen Maßnahmen gelindert werden. Ziel der Palliativmedizin ist es, die Symptomlast am Lebensende zu verringern und die Lebensqualität des Patienten zu erhöhen.
Arzneimitteltherapie 2018;36:63–6.

Hintergrund

Palliativmedizin wird immer noch mit Tumorpatienten am Lebensende assoziiert. Allerdings ist palliativmedizinische Versorgung weder auf eine bestimmte Erkrankung noch auf die letzten Lebenstage oder -wochen beschränkt, wie auch aus der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hervorgeht (siehe Infokasten 1) [8]. Palliative Care respektiert die Wünsche der Patienten und hilft den Familien mit praktischen Fragen zurechtzukommen, einschließlich des Umgangs mit Verlust und Trauer während der Erkrankung und im Fall des Todes [8]. Palliative Care und Palliativmedizin werden im Deutschen oft synonym verwendet; die englische Version beschreibt jedoch besser die Fürsorge und das Umsorgen des Patienten und seiner Familie in der individuellen Situation, das weit über den Bereich der Medizin reicht und bis über den Tod hinausgeht.

Infokasten 1. Palliativmedizin: Definition der WHO 2002

Palliativmedizin ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.

Die Palliativmedizin richtet sich also auch an die zahlreichen Patienten mit nichtonkologischen Erkrankungen, die eine begrenzte Lebenserwartung haben und oftmals unter sehr belastenden Symptomen leiden. Neben internistischen Erkrankungen wie COPD, Herz- oder terminale Niereninsuffizienz zählen hierzu beispielsweise auch neurologische Krankheiten wie amyotrophe Lateralsklerose oder Morbus Parkinson.

Die Palliativmedizin …

  • bejaht das Leben und erkennt Sterben als normalen Prozess an
  • beabsichtigt weder die Beschleunigung noch Verzögerung des Todes
  • bietet Angehörigen Unterstützung während der Erkrankung des Patienten und in der Trauerzeit
  • fördert Lebensqualität
  • kann möglicherweise auch den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen
  • kommt frühzeitig im Krankheitsverlauf zur Anwendung, auch in Verbindung mit anderen Therapien [11]

Zeitpunkt der Integration der Palliativmedizin

Der optimale Zeitpunkt zur Integration palliativmedizinischer Interventionen ist unklar. Daten aus dem onkologischen Bereich zeigen, dass ein frühzeitiger Einsatz palliativmedizinischer Unterstützung, zum Teil bereits bei Diagnosestellung, zur Erhöhung der Lebensqualität beiträgt. Die Patienten, die eine frühe palliativmedizinische Betreuung erhielten, profitierten im Laufe ihrer Erkrankung davon; sie litten weniger unter Depressionen, bekamen seltener aggressive Therapien am Lebensende und hatten zudem einen Lebenszeitvorteil von etwa zwei Monaten [14].

Die S3-Leitlinie „Palliativmedizin für Patienten mit einer unheilbaren Krebserkrankung“ empfiehlt den frühzeitigen Zugang zu einer palliativmedizinischen Betreuung für Patienten mit einer nichtheilbaren Krebserkrankung ab dem Zeitpunkt der Diagnose der Unheilbarkeit, unabhängig davon, ob eine tumorspezifische Therapie durchgeführt wird [2]. Bei komplexen Problemen soll auch spezialisierte Palliativversorgung angeboten werden [2].

Palliativmedizinische Unterstützung bei COPD-Patienten

Bei Patienten mit einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung fällt es aufgrund der schwierigen Prognoseeinschätzung und einem langen chronischen Verlauf der Erkrankung deutlich schwerer, den geeigneten Zeitpunkt für eine palliativmedizinische Behandlung zu erkennen [15]. Dabei entsprechen oft physische Symptome und psychosoziale Bedürfnisse denen von Krebspatienten, beispielsweise Dyspnoe, Fatigue, Kachexie, Angst und Depressionen [3]. Gleichzeitig müssen Patienten mit COPD jedoch über einen deutlich längeren Zeitraum als beispielsweise Patienten mit Lungenkrebs mit belastenden Symptomen leben. Daher ist bei diesen Patienten der Zeitpunkt der Einbindung palliativmedizinischer Unterstützung schwieriger. Curtis hat Situationen beschrieben, bei denen ein Gespräch über Wünsche des Patienten über das Lebensende und palliativmedizinische Betreuung angeregt werden sollte (Tab. 1) [6].

Tab. 1. Situationen, bei denen ein Gespräch über Wünsche des Patienten über das Lebensende und palliativmedizinische Betreuung angeregt werden sollte [nach 6]

Einsekundenkapazität (FEV1) <30%

Abhängigkeit von externer Sauerstoffzufuhr

Eine oder mehrere Krankenhauseinweisungen aufgrund einer Exazerbation der COPD im vergangenen Jahr

Linksherzinsuffizienz oder andere Komorbidität

Gewichtsverlust und Kachexie

Verminderter Allgemeinzustand

Zunehmende Abhängigkeit von Unterstützung durch Angehörige

Lebensalter >70 Jahre

Symptome bei COPD-Patienten: Atemnot

Atemnot (Syn. Dyspnoe) ist das führende Symptom vieler Patienten mit Lungenerkrankungen; es ist mit einer hohen Belastung und vielfach auch mit einem Gefühl existenzieller Bedrohung assoziiert.

Atemnot ist das Hauptsymptom vieler Patienten mit Lungenerkrankungen.

Die American Thoracic Society beschreibt mit ihrer international anerkannten Definition die Atemnot als „eine subjektive Erfahrung einer unangenehmen Atmung, die in ihrer Intensität variieren kann“. Oft wird die Atemnot durch ein Zusammenspiel aus körperlicher Belastung, Emotionen und umweltbedingten Faktoren beeinflusst. Der starke Leidensdruck der Patienten entsteht häufig durch große Einschränkungen in ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit, die bis hin zur physischen und psychischen Isolation führen kann [2, 9].

Bis zu 98% der Patienten mit fortgeschrittener COPD erleben bereits in Ruhe oder bei minimaler Anstrengung eine zunehmende Atemnot [5].

Eine Einschätzung und Erfassung der Atemnot in ihrer Intensität, emotionalen Belastung und bestehenden Beeinträchtigung im Alltag ist in diesem Zusammenhang unabdingbar [2]. Hierbei ist zu beachten, dass Atemnot ein subjektives Symptom ist. Lungenfunktionstests, bildgebende Diagnostik oder Blutgasbestimmungen sind daher von sehr limitierter Aussagekraft. Was zählt, ist die Aussage des Patienten.

Behandlung von Atemnot

Die Behandlung von Atemnot setzt sich aus nichtmedikamentösen und medikamentösen Maßnahmen zusammen. Die nichtmedikamentösen Behandlungsstrategien können einen großen therapeutischen Nutzen haben und sollten daher immer Bestandteil eines therapeutischen Gesamtkonzepts sein.

Nichtmedikamentöse Maßnahmen sollten immer Bestandteil der Therapie sein.

Nichtmedikamentöse Behandlung

Die nichtmedikamentöse Behandlung von Atemnot beginnt mit der Aufklärung über das Symptom Atemnot. Physiotherapeutische Anleitung mit Atemübungen und Körperpositionen sind wichtiger und nachweislich wirksamer Bestandteil der Behandlung. In Studien konnte außerdem belegt werden, dass ein Luftzug auf das Gesicht, beispielsweise durch einen Handventilator, Linderung verschafft [7]. Bei normaler Sauerstoffsättigung im Blut ist diese Methode sogar genauso wirksam wie die Gabe vonSauerstoff [1]. Die Anwendung eines Handventilators stellt eine kostengünstige, symptomatische und nichtmedikamentöse Behandlungsmöglichkeit dar, die der Patient eigenständig und situationsunabhängig zur Linderung seiner Atemnot und damit Erhöhung der Lebensqualität einsetzen kann. Außerdem profitieren die Patienten von Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen.

Medikamentöse Behandlung

Opioide. Besteht bei einem Patienten mit COPD trotz optimierter Inhalativa-Therapie und nichtmedikamentöser Maßnahmen weiterhin Atemnot, ist der Einsatz von Opioiden das Mittel der Wahl. Opioide reduzieren die Empfindlichkeit des Atemzentrums gegenüber erhöhten CO2-Werten im Blut. Hierdurch werden uneffektive und hochfrequente Atemarbeit und die Atemnot gemindert [10]. Die Wirkung ist in zahlreichen Studien belegt; bereits niedrige Morphin-Dosen können bei Patienten mit schwerer COPD und refraktärer Dyspnoe sicher und wirksam die Atemnot verringern [13]. In diesen Dosierungen ist eine Atemdepression nicht zu befürchten (Tab. 2) [13].

Tab. 2. Dosierungsempfehlung von Morphin bei Atemnot

Situation

Morphin-Startdosis

Opioid-naive Patienten

2,5–5 mg bei Bedarf bzw. alle 4h

Bei COPD-Patienten auch Beginn mit 1–2 mg möglich

Bei vorbestehender Opioid-Therapie gegen Schmerzen

1/6 der Opioid-Tagesdosis

Die Therapie sollte mit einer niedrigen Dosierung begonnen und bis zur Linderung der Atemnot langsam auftitriert werden [4]. Wird eine Therapie mit einem Opioid zur Behandlung der Atemnot begonnen, sollte ebenso eine Prophylaxe unerwünschter Arzneimittelwirkungen, wie Obstipation, erfolgen [2].

Besteht trotz Inhalativa-Therapie und nichtmedikamentöser Maßnahmen Atemnot, sind Opioide Mittel der Wahl.

Benzodiazepine. Das belastende Symptom Atemnot kann durch eine psychische Komponente beeinflusst werden. So besteht oft eine enge Verknüpfung zwischen dem Auftreten von Angst und Atemnot. Die Angst vor einer bereits erfahrenen Atemnot kann diese hervorrufen oder noch steigern und auftretende Atemnot kann wiederum die Angst verstärken. So entsteht ein Circulus vitiosus (Abb. 1). Häufig werden gegen die Atemnot Benzodiazepine eingesetzt, allerdings ist die Evidenzlage nicht besonders gut [12]. Daher sollten Benzodiazepine sehr kritisch eingesetzt werden und sind erst indiziert, wenn der Patient bereits mit Opioiden behandelt wird [2].

Abb. 1. Circulus vitiosus von Angst und Atemnot

Zur symptomatischen Behandlung von Atemnot mit Benzodiazepinen sollte die Initialdosis möglichst gering gewählt und bis zur erwünschten Wirkung aufdosiert werden (Tab. 3) [10].

Tab. 3. Dosierungsempfehlung von Benzodiazepinen bei Atemnot

Benzodiazepin

Dosierung

Lorazepam

0,5–1,0 mg alle 6–8 Std. p.o./s.l.

Midazolam

2,5–5 mg/4 h s.c., 10–30 mg/24 Std. s.c.

p.o.: peroral; s.c.: subkutan; s.l.: sublingual

Das Grundverständnis von Atemnot als ein subjektiv und sehr belastend empfundenes Symptom bei Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen wird langsam fundierter. In der Palliativmedizin wird der Patient in seiner gesamten, komplexen Situation gesehen. Primäres Ziel der Behandlung der Atemnot ist, dass der Patient besser mit dem Symptom zurechtkommt und nicht unbedingt, dass die Schwere der Atemnot reduziert wird.

Alina Marheineke hat an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Pharmazie studiert. Sie promoviert am Lehrstuhl für Palliativmedizin in München und ist seit 2016 Apothekerin für die Arzneimittelinformation Palliativmedizin in der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, Klinikum der Universität München – Campus Großhadern.

Constanze Rémi MSc

Pharmazie-Studium in München, Auslandsaufenthalt in Tucson, AZ/USA, Masterstudium „Palliative Care“ am King’s College in London. Seit 2002 Arzneimittelinformation der Apotheke des Klinikums der Universität München. Zusätzlich klinische und wissenschaftliche Mitarbeit und Leitung der Arzneimittelinformation Palliativmedizin an der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin des Klinikums der Universität München.

Prof. Dr. med. Claudia Bausewein PhD MSc

Internistin, Palliativmedizinerin, Medizinstudium an der LMU München, Auslandsaufenthalte in Oxford und London, Masters of Science in Palliative Care und PhD am King’s College London. Seit 2012 Lehrstuhlinhaberin für Palliativmedizin an der LMU München, seit 2013 Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin am Klinikum der Universität München.

Interessenkonflikterklärung

Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Literatur

1. Abernethy AP, McDonald CF, Frith PA, Clark K, et al. Effect of palliative oxygen versus room air in relief of breathlessness in patients with refractory dyspnoea: a double-blind, randomised controlled trial. Lancet 2010;376:784–93.

2. AWMF, DKG, editors. S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Tumorerkrankung 2015.

3. Bausewein C, Booth S, Gysels M, Kühnbach R, et al. Understanding breathlessness: cross-sectional comparison of symptom burden and palliative care needs in chronic obstructive pulmonary disease and cancer. J Palliat Med 2010;13:1109–18.

4. Bausewein C, Haberland B, Rémi C, Simon S. Palliativmedizin pocketcard Set. Grünwald: Börm Bruckmeier Verlag, 2016: 5.

5. Blinderman CD, Homel P, Billings JA, Tennstedt S, et al. Symptom distress and quality of life in patients with advanced chronic obstructive pulmonary disease. J Pain Symptom Manage 2009;38:115–23.

6. Curtis JR. Palliative and end-of-life care for patients with severe COPD. Eur Respir J 2008;32:796–803.

7. Galbraith S, Fagan P, Perkins P, Lynch A, et al. Does the use of a handheld fan improve chronic dyspnea? A randomized, controlled, crossover trial. J Pain Symptom Manage 2010;39:831–8.

8. Organization WHO. Strengthening of palliative care as a component of integrated treatment throughout the life course. J Pain Palliat Care Pharmacother 2014;28:130–4.

9. Parshall MB, Schwartzstein RM, Adams L, Banzett RB, et al. An official American Thoracic Society statement: update on the mechanisms, assessment, and management of dyspnea. Am J Respir Crit Care Med 2012;185L:435–52.

10. Rémi C, Bausewein C, Twycross R, Wilcock A, et al. Arzneimitteltherapie in der Palliativmedizin. München: Urban & Fischer, 2015.

11. Sepúlveda C, Marlin A, Yoshida T, Ullrich A. Palliative care: the World Health Organization‘s global perspective. J Pain Symptom Manage 2002;24:91–6.

12. Simon ST, Higginson IJ, Booth S, Harding R, et al. Benzodiazepines for the relief of breathlessness in advanced malignant and non‐malignant diseases in adults. The Cochrane Library, 2016.

13. Smallwood N, Le B, Currow D, Irving L, et al. Management of refractory breathlessness with morphine in patients with chronic obstructive pulmonary disease. Int Med J 2015;45:898–904.

14. Temel JS, Greer JA, Muzikansky A, Gallagher ER, et al. Early palliative care for patients with metastatic non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2010;363:733–42.

15. Vermylen JH, Szmuilowicz E, Kalhan R. Palliative care in COPD: an unmet area for quality improvement. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2015;10:1543.

*Modifizierter Nachdruck aus Medizinische Monatsschrift für Pharmazeuten 2017;40:390–3.

Alina Marheineke, Constanze Rémi MSc, Prof. Dr. med. Claudia Bausewein PhD MSc, Marchioninistraße 15, 81377 München, E-Mail: Alina.Marheineke@med.uni-muenchen.de

Palliative care for COPD

Patients with life-threatening illness should have access to palliative care for symptom relief and support. Palliative care is not restricted to oncologic patients. The needs of patients with an advanced chronic obstructive pulmonary disease (COPD) can be multifaceted and vary depending on the situation. The subjective feeling of breathlessness of patients with COPD can be alleviated by non-pharmacological and pharmacological measures. The goal of palliative care is to reduce symptom burden at the end of life and to increase the quality of life of the patient.

Key words: chronic obstructive pulmonary disease; COPD; palliative care

Arzneimitteltherapie 2018; 36(03):63-66