Krebs

Höheres progressionsfreies Überleben ist nicht mit besserer Lebensqualität assoziiert


Dr. Miriam Sonnet, Rheinstetten

Das progressionsfreie Überleben (PFS) gilt in zahlreichen Krebsstudien als wichtiger primärer Endpunkt und wird als Surrogat für eine stabile Erkrankung und weniger belastende Krankheitssymptome betrachtet. Allerdings korreliert das PFS nicht unbedingt mit einer verbesserten gesundheitsbezogenen Lebensqualität, wie in einem neuen systematischen Review jetzt gezeigt wurde.

Neben dem Gesamtüberleben (OS) wird in Krebs-Studien oft das progressionsfreie Überleben (Progression free survival, PFS, Kasten) bestimmt, auf dessen Basis bereits zahlreiche Krebsmedikamente zugelassen worden sind [1]. Oft herrscht die Meinung, dass ein PFS eine Krankheitskontrolle andeutet und damit Krankheitssymptome verringert würden. Allerdings bedeutet ein längeres PFS nicht gleichzeitig, dass Patienten dadurch eine bessere gesundheitsbezogene Lebensqualität (Health related quality of life, HRQoL) haben und bisher gibt es kaum Studien, die diesen Zusammenhang systematisch untersuchen. Es könnte demnach sein, dass Patienten toxische und teure Krebsmedikamente erhalten, ohne einen wirklichen Vorteil daraus zu ziehen. Auch die Ergebnisse einer neuen Studie deuten darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen verlängertem PFS und erhöhter HRQoL nicht gegeben ist.

Literatursuche mit drei Kategorien

Die Autoren des systematischen Reviews suchten nach Krebs-Studien, die beide Parameter bestimmten. Sie schlossen auch Studien mit ein, bei denen zunächst das PFS/die HRLQoL publiziert und in einem späteren Artikel die HRQoL/das PFS veröffentlicht wurde. Die Ergebnisse der einzelnen Publikationen wurden in der Datenanalyse von den Autoren gematcht. Demnach ergaben sich drei Kategorien an Studien (Tab. 1).

Tab. 1. Kategorien der gescreenten Studien [nach Kovic et al. 2018]

Kategorie

Definition

1

Nur das PFS wurde bestimmt

2

Nur die HRQoL wurde bestimmt

3

Beide Parameter wurden bestimmt

Da die HRQoL in den verschiedenen Studien mit verschiedenen Instrumenten (z. B. FACT-G, EORTC-QLQ-C30) gemessen wurde, standardisierten die Autoren die Werte auf eine Skala von 0 bis 100. Höhere Scores repräsentierten dabei bessere HRQoLs.

Insgesamt 52 Artikel, die 38 Studien repräsentierten, wurden in die Analyse eingeschlossen. Davon wurde in 24 Artikeln PFS und HRQoL bestimmt, bei 28 Artikeln (14 Studien) mussten die Autoren die Ergebnisse im Nachhinein matchen.

Keine Korrelation zwischen PFS und HRQoL

Die 38 Studien umfassten 13 979 Patienten und zwölf Krebsarten. Die mediane Follow-up-Zeit variierte zwischen 10,5 und 66 Monaten. Das mediane PFS lag zwischen 1,8 und 33,7 Monaten. In 38 Studien wurde über ein verbessertes PFS der Interventionsgruppe berichtet, die mittlere Differenz zwischen Interventions- und Kontrollarm betrug 1,91 Monate. Die Dauer der gemessenen HRQoL lag zwischen einem und 34 Monaten. Insgesamt wurden sechs verschiedene HRQoL-Instrumente verwendet, um die HRQoL zu messen: EORTC-QLQ-C30 (n = 19), FACT-G (n = 13), Lung Cancer Symptom Scale (n = 3), EQ-5D (n = 1), LASA (n = 1) oder Karnofsky-Score (n = 1) (Tab. 2).

Tab. 2. Auszug aus den Ergebnissen des systematischen Review [nach Kovic et al. 2018]

Outcome

Anzahl Studien (%)

Verbessertes PFS Intervention vs. Vergleichsarm

28/38 (74 %)

Messung der globalen HRQoL

30/38 (79 %)

Verbesserung der globalen HRQoL

16/30 (53 %)

Messung der physischen HRQoL

20/38 (53 %)

Verbesserung der physischen HRQoL

11/20 (55 %)

Messung der emotionalen HRQoL

13/38 (34 %)

Verbesserung der emotionalen HRQoL

8/13 (62 %)

Im nächsten Schritt korrelierten die Autoren das PFS mit der HRQoL und berechneten mittels Streudiagramm die Steigung, welche die Assoziation zwischen der Differenz im medianen PFS und der Differenz in den Änderungen der HRQoL darstellte. Allerdings war die Assoziation zwischen PFS und HRQoL nicht signifikant: Die Steigung betrug für PFS/globale HRQoL 0,12 (95%-Konfidenzintervall [KI] –0,27 bis 0,52), für PFS/physische HRQoL –0,20 (95%-KI –0,62 bis 0,23) und für PFS/emotionale HRQoL 0,78 (95%-KI –0,05 bis 1,60). Nach Ausschluss eines Ausreißers wurde die Steigung für PFS/globale HRQoL auf 0,28 und für PFS/physische HRQoL auf –0,30 korrigiert.

Fazit

Die Ergebnisse sollten laut Autoren Anlass dafür sein, das Design und die Durchführung von onkologischen Studien zu überdenken. In Studien mit PFS als primärem Endpunkt sollte zusätzlich überprüft werden, ob die Intervention die HRQoL beeinflusst. Damit könne das Nutzen-Risiko-Profil besser eingeschätzt werden. Das bringe allerdings auch Herausforderungen mit sich: So müssten Studienärzte Strategien entwickeln, um die fehlenden HRQoL-Daten zu minimieren. Dazu gehören unter anderem Baseline-Messungen vor der Randomisierung, ein sorgfältiges Monitoring und die elektronische Verwaltung von HRQoL-Instrumenten, die von dem Patienten selbst ausgefüllt wurden.

Die Studie wies einige Limitationen auf. So war bei 60 % der eingeschlossenen Studien das HRQoL-Follow-up kürzer als das Follow-up des medianen PFS. Bei 16 von 38 Studien wurden die Patienten nach einer Krankheitsprogression nicht weiter beobachtet. Dadurch könnten möglicherweise Vorteile bezüglich der HRQoL, die erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgetreten sind, verloren gegangen sein. In den Studien wurden zudem häufig klassische zytotoxische Medikamente verwendet; die Ergebnisse sind daher möglicherweise nur für solche Medikamentenklassen anwendbar. Außerdem war die Anzahl der eingeschlossenen Studien begrenzt. Dadurch war es auch nicht möglich, Subgruppen-Analysen durchzuführen.

Infokasten

Das progressionsfreie Überleben

Das progressionsfreie Überleben wird definiert als die Zeit vom Beginn der Therapie bis zur Progression der Erkrankung oder dem Tod des Patienten.

Quelle

Kovic B, et al. Evaluating progression-free survival as a surrogate outcome for health-related quality of life in oncology: A systematic review and quantitative analysis. JAMA Intern Med 2018;178:1586–96.

Literatur

1. Gutman SI, et al. Progression-free survival: What does it mean for psychological well-being or quality of life? Rockville, MD: Agency for Healthcare Research and Quality, 2013.

Arzneimitteltherapie 2019; 37(01):21-34