Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Einige kleinere offene und randomisierte Studien hatte Hinweise darauf ergeben, dass Serotonin-Wiederaufnahmehemmer möglicherweise den funktionellen Outcome nach Schlaganfall verbessern. In Tierexperimenten haben Serotonin-Wiederaufnahmehemmer positive Auswirkungen auf die Neuroplastizität und unterstützen die Neurogenese. 2011 zeigte die FLAME-Studie (Fluoxetine for motor recovery after acute ischaemic stroke) bei 118 Patienten einen positiven Effekt von Fluoxetin gegenüber Placebo auf die Besserung motorischer Ausfälle [1]. Eine deutlich größere Studie bei Patienten, die gegen eine Depression nach Schlaganfall mit SSRIs behandelt wurden, zeigte allerdings keine Verbesserung des funktionellen Outcomes nach 90 Tagen [2]. Nun wurden die Ergebnisse von zwei großen randomisierten Studien publiziert, im vorliegenden Fall mit Fluoxetin und in einer weiteren Studie mit Citalopram [3].
Studie
Es handelte sich um eine multizentrische Parallelgruppen-, doppelblinde, randomisierte Placebo-kontrollierte Studie an 103 Krankenhäusern in England (Tab. 1). Die Schlaganfallpatienten mussten fokale neurologische Ausfälle haben und wurden zwischen Tag 2 und Tag 15 nach Beginn der Symptomatik randomisiert. Die Patienten erhielten entweder 20 mg Fluoxetin pro Tag oder Placebo über sechs Monate. Der primäre Endpunkt der Studie war der funktionelle Status gemessen mit der modifizierten Rankinskala (mRS) nach sechs Monaten. Der funktionelle Status wurde auch nach zwölf Monaten erfasst.
Tab. 1. Design der FOCUS-Studie [Focus Trial Collaboration 2018]
Erkrankung |
Neurologisches Defizit nach Insult |
Studienziel |
Verbesserung der Funktionalität durch Fluoxetin |
Studientyp/Design |
multizentrisch, randomisiert, verblindet, Phase III |
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Funktioneller Status gemessen mit der modifizierten Rankinskala (mRS) |
Sponsor |
University of Edinburgh und NHS Lothian |
Studienregisternummer |
ISRCTN 83290762 |
Ergebnisse
Zwischen September 2012 und März 2017 wurden 3127 Patienten rekrutiert und davon 1564 Patienten mit Fluoxetin sowie 1563 Patienten mit Placebo behandelt. 61 % der Patienten waren männlichen Geschlechts und 57 % waren älter als 70 Jahre. 90 % hatten einen ischämischen Insult und 10 % eine intrazerebrale Blutung erlitten. Die Schwere des neurologischen Defizits auf der NIHSS (National institutes of health stroke scale: 0–42) betrug im Mittel 6. Bei 87 % der Patienten lag ein motorisches Defizit und bei 30 % eine Aphasie vor.
Nach sechs Monaten war die Verteilung der mRS-Kategorien über die beiden Therapiegruppen hinweg identisch mit einem Odds-Ratio von 0,951 und einem 95%igen Konfidenzintervall von 0,84 bis 1,08. Patienten, die Fluoxetin erhielten, hatten eine geringere Wahrscheinlichkeit innerhalb von sechs Monaten eine Depression zu entwickeln mit 210 Patienten (13,4 %) versus 269 Patienten (17,2 %).
Bei den Nebenwirkungen hatten Patienten unter Fluoxetin mit 45 versus 23 Patienten häufiger Knochenfrakturen.
Kommentar
Nach der relativ kleinen FLAME-Studie mit Fluoxetin aus dem Jahr 2011 wurden zwei große Studien zum Einsatz von SSRIs beim Schlaganfall durchgeführt. Neben der FOCUS-Studie mit Fluoxetin wurde vor einem Monat eine weitere große Studie mit Citalopram publiziert, die ebenfalls kein positives Ergebnis hatte [3]. Die Ergebnisse beider Studien sind überzeugend, da sich nicht nur für den primären Endpunkt, sondern auch für fast alle sekundären Endpunkte inklusive Lebensqualität kein Unterschied in den beiden Therapiegruppen fand. Beide Studien zeigten allerdings eine signifikante Reduktion des Auftretens von Depressionen nach Schlaganfall in der Gruppe der Patienten, die einen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer erhielten. Der Therapieeffekt ist allerdings zu gering, um eine präventive Therapie zu rechtfertigen. Wie in vielen Studien zur Behandlung der Depression fand sich auch hier eine leichte, 1,4%ige Zunahme des Risikos von knöchernen Frakturen unter SSRIs.
Zusammengefasst sind selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer nach Schlaganfall zur Verbesserung des funktionellen Outcome nicht wirksam.
Quelle
Focus Trial Collaboration. Effects of fluoxetine on functional outcomes after acute stroke (FOCUS): a pragmatic, double-blind, randomised, controlled trial. Lancet 2018;393:265–74.
Literatur
1. Chollet F, et al. Fluoxetine for motor recovery after acute ischaemic stroke (FLAME): a randomised placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2011;10:123–30.
2. Kim JS, et al. Efficacy of early administration of escitalopram on depressive and emotional symptoms and neurological dysfunction after stroke: a multicentre, double-blind, randomised, placebo-controlled study. Lancet Psychiatry 2017;4:33–41
3. Kraglund KL, et al. Neuroregeneration and vascular protection by citalopram in acute ischemic stroke (TALOS). Stroke 2018;49:2568–76.
Arzneimitteltherapie 2019; 37(04):133-147