Maximilian Günther, Bonn
Tritt das Prostatakarzinom nach einer initialen operativen oder radiologischen Therapie erneut auf, ist in vielen Fällen eine Androgen-Entzugstherapie (ADT) das Mittel der Wahl. Trotz dieser Hormonbehandlung kommt es häufig zur Krankheitsprogression. Bei Patienten mit einem solchen nichtmetastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom ist ein wichtiges Therapieziel, die Entstehung von Metastasen zu verhindern beziehungsweise zu verzögern. Zugelassen für diese Indikation sind bereits die Androgenrezeptor-Antagonisten Apalutamid und Enzalutamid. Die Eckdaten der ARAMIS-Studie zu Darolutamid sind in Tabelle 1 dargestellt.
Tab. 1. Studiendesign der ARAMIS-Studie [nach Fizazi et al. 2019]
Erkrankung |
Prostatakarzinom |
Studienziel |
Effektivität und Verträglichkeit von Darolutamid zusätzlich zur Androgen-Entzugstherapie (ADT) beim nichtmetastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom |
Studientyp |
Interventionsstudie |
Studienphase |
Phase III |
Studiendesign |
International, randomisiert, doppelblind, Placebo-kontrolliert |
Eingeschlossene Patienten |
1509 mit Baseline-PSA-Wert von mindestens 2 ng/ml und PSA-Verdopplungszeit von höchstens 10 Monaten |
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Metastasen-freies Überleben |
Sekundäre Endpunkte |
Gesamtüberleben, Dauer bis zur Schmerzprogression, Dauer bis zur Chemotherapie, Dauer bis zu den ersten symptomatischen Knochenkomplikationen, Sicherheit, gesundheitsbezogene Lebensqualität |
Sponsoren |
Orion Pharma, Bayer HealthCare |
Studienregisternummer |
NCT 02200614 (ClinicalTrials.gov) |
Ergebnisse
Insgesamt wurden 1509 Patienten im Verhältnis 2 : 1 auf den Interventions- bzw. Placebo-Arm randomisiert. Die mediane Behandlungszeit der Darolutamid-Gruppe lag bei 14,8 Monaten, die der Placebo-Gruppe bei 11,0 Monaten. Das mediane Metastasen-freie Überleben als primärer Endpunkt betrug 40,4 Monate in der Darolutamid-Gruppe im Vergleich zu 18,4 Monaten in der Placebo-Gruppe (Hazard-Ratio [HR] für Metastasen oder Tod in der Darolutamid-Gruppe 0,41; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,34–0,50; p < 0,001). Dieser Effekt war in allen Subgruppen signifikant. Auch in Bezug auf die sekundären Endpunkte Dauer bis zur Schmerzprogression (HR 0,65; 95%-KI 0,53–0,79; p < 0,001), Dauer bis zur Chemotherapie (HR 0,43; 95%-KI 0,31–0,60; p < 0,001), Dauer bis zu den ersten symptomatischen Knochenkomplikationen (HR 0,43; 95%-KI 0,22–0,84; p < 0,01) und Gesamtüberleben (HR 0,71; 95%-KI 0,50–0,99; p = 0,045) war Darolutamid im Vergleich zu Placebo überlegen. Eine mittlere Überlebenszeit konnte nicht angegeben werden, da insgesamt erst 136 Patienten verstorben waren.
Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten bei 24,8 % der Patienten in der Darolutamid-Gruppe und bei 20,0 % der Patienten in der Placebo-Gruppe auf. Beide Gruppen wiesen ein ähnliches Profil unerwünschter Ereignisse auf. Lediglich Fatigue trat in der Darolutamid-Gruppe mit 12,1 % deutlich häufiger auf als in der Placebo-Gruppe mit 8,7 %.
In der patientenberichteten gesundheitsbezogenen Lebensqualität der beiden Gruppen konnte kein klinisch signifikanter Unterschied festgestellt werden.
Diskussion
Nach Meinung der Autoren erzielte Darolutamid in der ARAMIS-Studie in Bezug auf das Metastasen-freie Überleben im indirekten Vergleich mit Enzalutamid in der PROSPER-Studie (36,6 Monate vs. 14,7 Monate mit Placebo) und Apalutamid in der SPARTAN-Studie (40,4 Monate vs. 16,2 Monate mit Placebo) eine ähnlich gute Wirksamkeit. Unter Darolutamid traten jedoch weniger, für Androgenrezeptor-Antagonisten spezifische, unerwünschte Ereignisse auf als unter den anderen Klassenvertretern. Ein möglicher Grund ist die chemische Struktur von Darolutamid, die den Übertritt über die Blut-Hirn-Schranke vermindert. Die bessere Verträglichkeit von Darolutamid wird dadurch unterstrichen, dass die Lebensqualität der Patienten in der ARAMIS-Studie durch die Behandlung nicht negativ beeinflusst wurde.
Die Ergebnisse der Studien bekräftigen den großen Nutzen einer frühen und potenten Androgenrezeptor-Blockade, welche die Prognose für Patienten mit einem nichtmetastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom deutlich verbessert. Ob Darolutamid den anderen Substanzen aufgrund der besseren Verträglichkeit tatsächlich überlegen ist, kann abschließend nur durch einen direkten Kopf-an-Kopf-Vergleich geklärt werden.
Kommentar
Darolutamid (ODM-221) ist ein Androgenrezeptor-Antagonist, der offensichtlich aufgrund seiner Molekülstruktur nur eine geringe Penetration durch die Blut-Hirn-Schranke zeigt. Diese Eigenschaft ist verknüpft mit einer geringeren Toxizität im Vergleich zu den zugelassenen Androgenrezeptor-Antagonisten Apalutamid und Enzalutamid. Weiterhin blockiert Darolutamid die Aktivität mutierter Androgenrezeptoren, die durch vorausgegangene Antiandrogen-Therapien verursacht wurden. Damit könnte eine Durchbrechung der Resistenz für die Anwendung weiterer Antiandrogen-Therapien relevant sein. Daten aus einer Phase-III-Studie (ARAMIS), in der Darolutamid in Kombination mit ATD gegen ATD plus Placebo geprüft wurde, liegen mittlerweile vor. Vorteile von Darolutamid gegenüber dem Placebo-Arm waren ein deutlich längeres Metastasen-freies Überleben, eine deutlich längere Schmerzfreiheit, ein deutlich späteres Auftreten von Knochenkomplikationen und ein längeres Gesamtüberleben. Ein weiterer Vorteil scheint in der geringeren Toxizität von Darolutamid im Vergleich zu den bereits klinisch eingesetzten Androgenrezeptor-Antagonisten zu liegen.
Obwohl diese Vorteile von Darolutamid beim nichtmetastasierten kastrationsrefraktären Prostatakarzinom in der oben genannten Placebo-kontrollierten Studie beschrieben werden, gibt es bislang keine vergleichenden Studien mit Enzalutamid oder Apalutamid. Die Substanz ist bislang nicht zugelassen und nicht kommerziell verfügbar. Daher ist der klinische Stellenwert von Darolutamid zurzeit noch nicht sicher einschätzbar. Zulassungsunterlagen wurden aktuell bei der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA aufgrund vorliegender Daten der ARAMIS-Studie eingereicht.
Quelle
Fizazi K, et al. Darolutamide in nonmetastatic, castration-resistant prostate cancer. N Engl J Med 2019; DOI: 10.1056/NEJMoa1 815 671.
Arzneimitteltherapie 2019; 37(05):171-187