Neurodegenerative Erkrankungen

Vielversprechende Therapieoption bei Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen


Dr. Jasmine Thibaut, Stuttgart

Im Rahmen des 92. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) diskutierten Experten in einem von der Firma Alexion veranstalteten Symposium über neue Therapieoptionen für Patienten mit Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD).

Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) sind seltene und schwerwiegende entzündliche Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems, die meist die Sehnerven und das Rückenmark betreffen. Die Prävalenz liegt mit 1–4 pro 100 000 Personen deutlich niedriger als bei multipler Sklerose (MS). Frauen sind 9-mal häufiger betroffen als Männer. Die Erkrankung verläuft in Schüben. Der Altersgipfel bei Erstmanifestation ist mit 39 Jahren etwas später als bei MS. Die Erkrankung kommt in der asiatischen und afro-amerikanischen Bevölkerung etwas häufiger vor. Es besteht eine Verwandtschaft zu anderen Antikörper-assoziierten Erkrankungen wie das Sjögren-Syndrom, Lupus erythematodes und Myasthenia gravis.

Dr. med. Refik Pul, Essen, erläuterte in seinem Vortrag die Bedeutung des Komplementsystems sowie dessen unkontrollierte Aktivierung bei NMOSD. Priv.-Doz. Dr. Ilya Ayzenberg, Bochum, ging in seinem Vortrag auf den aktuellen Stand der Pathophysiologie und der Diagnostik der NMOSD ein. Histopathologisch sind demyelinisierende Läsionen mit hochgradiger axonaler Degeneration und krankheitsspezifische Autoantikörper gegen das astrozytäre Wasserkanalprotein Aquaporin-4 (AQP4) zu beobachten. Mehr als drei Viertel aller NMOSD-Patienten sind AQP4-Antikörper-positiv.

Ziele bei NMOSD sind:

  • frühe Diagnosestellung
  • aktive Schubtherapie mit früher Apherese-Therapie
  • langjährige Immunotherapie bereits nach dem 1. Schub

Die Erkrankung wird oft mit anderen neurologischen Erkrankungen wie der MS verwechselt. Doch gerade MS-Arzneimittel können das Fortschreiten von NMOSD verschlimmern.

Komplement-Inhibitor Eculizumab

Priv.-Doz. Dr. Nico Melzer, Münster, berichtete über die Therapie mit dem Komplement-Inhibitor Eculizumab (Soliris®). Eculizumab ist der erste Vertreter einer Arzneimittelklasse, die über eine Hemmung des C5-Proteins im terminalen Teil der Komplement-Kaskade wirkt. Dabei adressiert es zielgerichtet den zentralen Pathomechanismus der unkontrollierten Komplement-Aktivierung: Der monoklonale IG2/4k-Antikörper bindet selektiv und hoch affin an den Komplementfaktor C5 und verhindert dessen Spaltung in die Fragmente C5a und C5b. Dadurch blockiert er die terminale Komplement-Kaskade mit Bildung des Membranangriffskomplexes (MAK), der als transmembranöse Pore die postsynaptische Membran schädigt. Eculizumab ist bereits mehrere Jahre zugelassen:

  • seit 2007 zur Behandlung der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie
  • seit 2011 zur Behandlung des atypischen hämolytisch-urämischen Syndroms
  • seit 2017 zur Behandlung von erwachsenen, therapierefraktären Patienten mit Acetylcholin-Rezeptor-(AChR)-Antikörper-positiver Myasthenia gravis

Seit 2019 hat Eculizumab eine Zulassungserweiterung in der EU als erste Therapieoption zur Behandlung von NMOSD bei erwachsenen Patienten, die positiv für AQP4-Antikörper sind und einen schubförmigen Krankheitsverlauf haben, erhalten.

PREVENT-Studie

Die Daten zu Eculizumab basieren auf der PREVENT(Prevention of Relapses and Evaluation of Eculizumab in NMOSD Treatment/ECU-NMO-301)-Studie (Tab. 1), in der Eculizumab zusätzlich zur bestehenden Therapie bei Patienten mit AQP4-Antikörper-positiven NMOSD untersucht wurde.

Tab. 1. Studiendesign der PREVENT-Studie

Erkrankung

NMOSD

Studienziel

Wirksamkeit und Sicherheit von Eculizumab vs. Placebo bei Patienten mit AQP4-Antikörper-positiver NMOSD

Studientyp/Design

Interventionell, randomisiert, multinational, doppelblind,
parallel, Phase-III

Patienten

143

Intervention

  • Eculizumab (n = 96)
  • Placebo (n = 47)

jeweils zusätzlich zur bestehenden Therapie

Primärer Endpunkt

Zeit bis zum ersten bestätigten Schub

Sponsor

Alexion Pharmaceuticals

Studienregister-Nr.

NCT01892345
(ClinicalTrials.gov)

NMOSD: Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen

Einschlusskriterien waren:

  • eine bestätigte NMOSD-Diagnose
  • seropositiv auf AQP4-Antikörper
  • schubförmiger Krankheitsverlauf

Für die Studie wurden 143 erwachsene Patienten 2 : 1 auf Verum bzw. Placebo randomisiert. Sie durften zur Schubprävention eine stabile Erhaltungsdosis der nach Protokoll erlaubten, supportiven immunsuppressiven Therapie (IST) erhalten und wurden vor Studienbehandlung gegen Neisseria meningitidis geimpft. Primärer Endpunkt war die Zeit bis zum ersten bestätigten Schub.

Signifikante Schubreduktion unter Eculizumab

Ein signifikanter Effekt von Eculizumab im Vergleich zu Placebo konnte bezüglich des primären Endpunktes beobachtet werden (94 %, Hazard-Ratio 0,058; p < 0,0001). Nach 48 Wochen waren 98 % der Patienten in der Verum-Gruppe noch schubfrei, verglichen mit 63 % in der Placebo-Gruppe. Nach 144 Wochen waren noch 96 % versus 45 % der Patienten schubfrei. Die Anzahl der Schübe war unter Eculizumab signifikant geringer als unter Placebo, unabhängig davon, ob die Patienten eine begleitende IST erhielten.

Sicherheitsprofil

Die am häufigsten beobachteten unerwünschten Ereignisse waren Kopfschmerzen, Infektionen der oberen Atemwege und Nasopharyngitis. Allerdings erhöht Eculizumab das Risiko einer Meningokokkeninfektion, die sehr schnell einen lebensbedrohlichen Verlauf nehmen kann. Daher müssen Patienten, die mit Eculizumab behandelt werden sollen, mindestens 2 Wochen vor der Verabreichung mit einem Meningokokkenimpfstoff geimpft werden. Sollte der Abstand zwischen Impfung und Eculizumab-Verabreichung weniger als 2 Wochen betragen, so ist eine zweiwöchige prophylaktische Antibiotikagabe nach Impfung indiziert. Alle Patienten sollten auf frühe Anzeichen einer Meningokokkeninfektion beobachtet werden.

Quelle

Dr. med Refik Pul, Essen, Priv.-Doz. Dr. Ilya Ayzenberg, Bochum, Priv.-Doz. Dr. Nico Melzer, Münster, Symposium „Eine neue Ära bei NMOSD“, veranstaltet von Alexion im Rahmen des DGN-Kongresses, Stuttgart, 27. September 2019.



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Arzneimitteltherapie 2020; 38(03):110-113