Placebo

Open-Label-Gebrauch von Placebo bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
In einer randomisierten Studie an Patienten mit chronischen Rückenschmerzen zeigte sich, dass die offene Gabe von Placebo zusätzlich zu einer Standardtherapie zu einer signifikanten Reduktion der Schmerzintensität im Vergleich zu einer alleinigen Standardtherapie führt. Die Therapie hatte keinen Einfluss auf die objektive Beweglichkeit der Wirbelsäule.

Therapiestudien, insbesondere mit Medikamenten, werden in der Regel als doppelblinde Placebo-kontrollierte Studien durchgeführt. Ein besonders hoher Placebo-Effekt findet sich bei Schmerzerkrankungen wie Rückenschmerzen oder Migräne und bei der Behandlung der Depression. In den letzten Jahren wurden umfangreiche Studien zur Genese des Placebo-Effekts durchgeführt. Diese Studien zeigen, dass Placebo einen Einfluss auf schmerzmodulierende Strukturen im Gehirn hat und die Ausschüttung bestimmter Neurotransmitter bewirkt. Der Placebo-Effekt setzt allerdings voraus, dass die Studien verblindet durchgeführt werden, das heißt, dass weder Patient noch behandelnder Arzt wissen, ob der Patient mit Verum oder Placebo behandelt wird. Eine weitgehend ungelöste Frage ist, ob Placebo auch wirkt, wenn der Patient darüber informiert wird, dass er mit Placebo behandelt wird. Dass diese Form der Placebo-Behandlung wirksam ist, hat sich bei der Behandlung der episodischen Migräne gezeigt.

Studiendesign

Es handelte sich um eine 3-wöchige offene Studie bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen (Tab. 1). Die Patienten erhielten über drei Wochen hinweg entweder täglich Placebo in Kombination mit einer Standardtherapie oder eine übliche Standardtherapie allein. Der primäre Endpunkt der Studie war die Änderung der Schmerzintensität. Sekundäre Endpunkte waren die von den Patienten berichtete funktionelle Einschränkung sowie die objektive Beweglichkeit der Wirbelsäule. Weiterhin wurden durch entsprechende Messinstrumente Depression, Angst und Stress erfasst.

Tab. 1. Studiendesign

Erkrankung

Chronische Rückenschmerzen

Studientyp/Design

Randomisiert, offen

Intervention

  • Standardtherapie (n = 59)
  • Standardtherapie + Placebo (n = 63)

Primärer Endpunkt

Schmerzintensität

Studienregisternummer

DRKS00012712
(German Clinical Trials Register)

Ergebnisse

In die Studie wurden 120 Patienten randomisiert, die entweder Placebo (n = 63) oder nur die Standardtherapie (n = 59) erhielten. Die unverblindete Gabe vom Placebo führte zu einer höheren Schmerzreduktion im Vergleich zu der Standardtherapie allein. Die Schmerzintensität bei Einschluss betrug 5,25 auf einer Skala von 0 bis 10 in der Standardtherapie-Gruppe und 5,50 in der Gruppe mit Standardtherapie plus Placebo. Die Schmerzreduktion in der Placebo-Gruppe betrug 0,62 Punkte versus einer Zunahme von 0,11 Punkten in der Standardtherapie-Gruppe. Dieser Unterschied war statistisch signifikant. Signifikante Unterschiede fanden sich auch für die vom Patienten wahrgenommene Behinderung. Die Depressionswerte auf den Depressionsskalen verbesserten sich ebenfalls unter der Kombinationstherapie mehr als unter der Standardtherapie allein. Die offene Gabe von Placebo hatte keinen Einfluss auf die Beweglichkeit der Wirbelsäule, auf die Angstparameter und Stress.

Kommentar

Die vorliegende Studie der Universität Duisburg-Essen ist die bisher größte Studie, die bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen die Wirksamkeit von unverblindeter Gabe von Placebo untersuchte. Bisher war angenommen worden, dass eine Verblindung notwendig ist, um einen Placebo-Effekt zu erzielen. Nur durch die Verblindung sollte gewährleistet sein, dass eine Erwartungshaltung bei dem Patienten hervorgerufen wird, die dann die entsprechenden physiologischen Veränderungen im Gehirn herbeiführt. Die Studie aus Essen zeigt aber, dass Placebo offenbar auch dann wirksam ist, wenn es offen gegeben wird. Die Mechanismen, die hier dem Placebo-Effekt zugrunde liegen, sind allerdings bisher nicht bekannt. Die Studie ändert ebenfalls nichts an der Tatsache, dass es ethisch nur schwer vertretbar wäre, Patienten mit chronischen Rückenschmerzen allein mit Placebo zu behandeln.

Quelle

Kleine-Borgmann J, et al. Effects of open-label placebo on pain, functional disability, and spine mobility in patients with chronic back pain: a randomized controlled trial. Pain 2019;160:2891–7.

Arzneimitteltherapie 2020; 38(04):150-162