Michael Horn und Gabriele Eibenstein, Bonn
Lieferengpässe bei Arzneimitteln stellen alle Beteiligten in der Arzneimittelversorgung vor vielfältige Herausforderungen. Vor allem können Lieferengpässe aber gravierende Auswirkungen für Patientinnen und Patienten haben, wenn eine Therapie nicht mit dem „bekannten“ Arzneimittel fortgesetzt werden kann, Therapien unterbrochen werden müssten oder gar nicht erfolgen könnten. Jede Nichtverfügbarkeit eines Arzneimittels kann die Compliance bei Patientinnen und Patienten negativ beeinflussen und somit auch den Therapieerfolg gefährden. Der Aufwand, geeignete Alternativpräparate zu beschaffen, kann hierbei sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich erheblich sein.
Nicht jeder Lieferengpass ist auch versorgungsrelevant. Seit einigen Jahren mehren sich aber die Fälle, dass beispielsweise durch den Ausfall eines einzigen Herstellers die globale Arzneimittelversorgung betroffen ist. Die Abhängigkeit von einzelnen Unternehmen wird vom BfArM im Hinblick auf die sichere Versorgung mit Arzneimitteln daher als besonders kritisch angesehen. Wenn beispielsweise ein Wirkstoffhersteller ausfällt und etliche pharmazeutische Unternehmen von diesem Hersteller den Wirkstoff beziehen, kann sehr schnell eine versorgungskritische Situation entstehen, die nur noch schwer zu kompensieren ist. Dieses betrifft vor allem niedrigpreisige Arzneimittel. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sind alle in der Arzneimittelversorgung beteiligten Institutionen und Organisationen gefordert, ihren Teil dazu beizutragen, um Abhängigkeiten zu reduzieren und eine robuste und belastbare Versorgung zu erreichen.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte daher Anfang 2016 in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) entschieden, sich trotz eines fehlenden gesetzlichen Mandats aktiv bei versorgungsrelevanten Lieferengpässen einzubringen und hierdurch zu einer Verbesserung der Situation beizutragen. Zudem wurde als Ergebnis des Pharmadialogs Mitte 2016 der Jour fixe „Liefer- und Versorgungsengpässe“ unter der Leitung des BfArM eingerichtet.
In diesem Artikel soll über die Aktivitäten des BfArM in Bezug auf Lieferengpässe und die Arbeit des Jour fixe „Liefer- und Versorgungsengpässe“ informiert werden.
Definitionen
Lieferengpass
Grundsätzlich muss zwischen Lieferengpässen und Versorgungsengpässen unterschieden werden. Ein Lieferengpass ist eine über voraussichtlich zwei Wochen hinausgehende Unterbrechung einer Auslieferung im üblichen Umfang oder eine deutlich vermehrte Nachfrage, der nicht angemessen nachgekommen werden kann.
Versorgungsengpass
Wird ein Lieferengpass gemeldet, prüft das BfArM, ob es sich um ein versorgungsrelevantes Arzneimittel handelt. Hierbei ist insbesondere von Bedeutung, ob Alternativpräparate für die Therapie zur Verfügung stehen und sich diese Arzneimittel zurzeit auf dem Markt befinden. Ein Versorgungsengpass liegt dann vor, wenn keine bzw. nicht ausreichend viele alternative Arzneimittel zur Verfügung stehen.
Versorgungsmangel
Auf Basis der Erkenntnisse des BfArM und unter Einbeziehung der Landesbehörden kann das BMG einen Versorgungsmangel nach § 79 Abs. 5 AMG feststellen. Diese Feststellung, die nach sehr strengen Kriterien zu treffen ist und immer eine risikobasierte Prüfung beinhaltet, ist Voraussetzung dafür, dass die Landesbehörden im Einzelfall und befristet von bestehenden Vorgaben des Arzneimittelgesetzes (AMG) abweichen dürfen. Die Feststellung erfolgt durch eine Bekanntmachung des BMG, die im Bundesanzeiger veröffentlicht wird. Die Verfügbarkeit wird in der Folge kontinuierlich beobachtet und, sofern die Prüfung die hinreichende Verfügbarkeit belegt, die Aufhebung der Bekanntmachung gleichermaßen bekannt gemacht. Die Internetseite des BfArM stellt die Informationen ebenfalls der Öffentlichkeit zur Verfügung.
Gesetzlicher Rahmen
Es gibt im europäischen Arzneimittelrecht keine Verpflichtung, dass ein pharmazeutischer Unternehmer ein zugelassenes Arzneimittel in den Verkehr bringen muss. Befindet sich ein zugelassenes Arzneimittel über einen Zeitraum von drei Jahren nicht im Verkehr, so erlischt die Zulassung für dieses Arzneimittel (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 AMG). Wenn ein Arzneimittel hingegen in den Verkehr gebracht wird, muss eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung des Arzneimittels sichergestellt werden, damit der Bedarf von Patienten und Patientinnen gedeckt ist. Ebenso ist eine bedarfsgerechte und kontinuierliche Belieferung vollversorgender Arzneimittelgroßhandlungen zu gewährleisten (§ 52b Abs. 1 und 2 AMG).
Seit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG), das am 13. Mai 2017 in Kraft getreten ist, sind pharmazeutische Unternehmer verpflichtet, im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit Krankenhäuser im Falle ihnen bekannt gewordener Lieferengpässe bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zur stationären Versorgung umgehend zu informieren (§ 52b Abs. 3a AMG).
Welche Rolle spielt das BfArM?
Anfang 2013 wurde vom BfArM in Absprache mit dem BMG ein erstes Verfahren zur Einreichung und Veröffentlichung von Lieferengpassmeldungen für freiwillig gemeldete Lieferengpässe der Zulassungsinhaber eingeführt. Die erste Meldung erfolgte im April 2013. Hierdurch sollte die Transparenz für Lieferengpässe von Arzneimittel zur Behandlung lebensbedrohlicher bzw. schwerwiegender Erkrankungen, für die keine Alternativpräparate zur Verfügung stehen, verbessert werden. Zu dieser Zeit hatten weder das BfArM noch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), in dessen Zuständigkeit beispielsweise die Impfstoffe liegen, eine aktive Rolle.
Zum einen aufgrund des sehr engen Fokus der betroffenen Arzneimittel, zum anderen aber auch aufgrund fehlender eindeutiger Definitionen und Regelungen wurden dem BfArM in den ersten Jahren nur relativ wenige Lieferengpässe gemeldet.
Anfang 2016 hatte sich das BfArM daher in Abstimmung mit dem BMG dazu entschieden, nicht nur eine aktive Rolle einzunehmen, sondern auch die hierfür notwendigen organisatorischen und prozessualen Änderungen vorzunehmen.
Das BfArM stellt seitdem im Zusammenhang mit Lieferengpässen für Humanarzneimittel in Deutschland umfangreiche Informationen auf seiner Homepage bereit. Unter anderem sind die Listen der versorgungsrelevanten Wirkstoffe und der Wirkstoffe mit einem erhöhten Versorgungsrisiko eine wichtige Grundlage dafür, Lieferengpässen differenziert begegnen zu können. Mit diesen Informationen schafft das BfArM Transparenz und verbessert den Informationsfluss.
Weiterhin wurde eine Kontaktstelle für Lieferengpässe eingerichtet, die als eigenständiges Sachgebiet für das Monitoring von Lieferengpässen zuständig ist.
Das Meldeformular zur strukturierten Übermittlung von Informationen wurde deutlich erweitert und die mitgeteilten Angaben werden automatisiert sowohl in die Arzneimitteldatenbank des Bundes als auch in eine interne und eine externe Lieferengpassdatenbank übernommen. Aktuell bietet die externe Datenbank sowohl eine Rubrik für aktuelle Meldungen wie auch eine umfassende Liste, in der auch die als beendet gemeldeten Lieferengpässe hinterlegt sind.
Die Angaben dieser Datenbank sind sowohl sortier- als auch filterbar, womit beispielsweise Meldungen zu konkreten Wirkstoffen gezielt recherchiert werden können.
Im Rahmen einer sogenannten Kritikalitätsprüfung wird vom BfArM geprüft, inwieweit ein gemeldeter Lieferengpass eine Versorgungsrelevanz besitzen könnte und welche Maßnahmen gegebenenfalls ergriffen werden könnten. Die Meldungen erfolgen durch die pharmazeutischen Unternehmer und basieren auf der im Pharmadialog erklärten Selbstverpflichtung zur Meldung von Lieferengpässen für versorgungsrelevante Arzneimittel.
Im Fall eines drohenden oder bestehenden Versorgungsengpasses kann das BfArM
- Sachverhalte ermitteln, die zu einem Lieferengpass geführt haben, und diese Information an beteiligte Akteure kommunizieren.
- ermitteln, welche Ausmaße ein Lieferengpass hat, und diese Information an beteiligte Akteure kommunizieren.
- Kontakt mit dem Zulassungsinhaber und/oder den Fachgesellschaften aufnehmen, um Informationen zu kommunizieren.
- Kontakt zu weiteren Zulassungsinhabern aufnehmen, um deren Lieferfähigkeit und damit die Möglichkeit der Kompensation zu erfragen.
- Kontakt mit weiteren nationalen Zulassungsbehörden oder der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) aufnehmen, um Informationen zu kommunizieren.
- Anträge auf Zulassung von Arzneimittel priorisiert bearbeiten bzw. sich in europäischen Verfahren für eine beschleunigte Bearbeitung einsetzen.
- Anträge auf Änderungen eines Arzneimittels priorisiert bearbeiten bzw. sich in europäischen Verfahren (Variations) für eine beschleunigte Bearbeitung einsetzen. Änderungen in den Angaben und Unterlagen zur Zulassung (beispielsweise Änderungen der Herstellungsstätten oder der Gebrauchsinformationen) muss der Inhaber der Zulassung gegenüber der zuständigen Behörde anzeigen und diese genehmigen lassen.
Das BfArM geht vergleichbar vor, wenn von Bürgerinnen und Bürgern, von Landesbehörden, von Fachgesellschaften, aus Fachkreisen oder weiteren Organisationen belastbare Informationen zu möglichen Lieferengpasssituationen übermittelt werden.
Das Meldewesen und die Meldekriterien für die pharmazeutischen Unternehmer wurden im Jour fixe zu Liefer- und Versorgungsengpässen präzisiert und auf der BfArM-Internetseite publiziert. Vor dem Hintergrund der transparenten Kriterien und Parameter war bereits 2017 ein deutlicher Anstieg der Lieferengpassmeldungen zu verzeichnen. Diese Entwicklung hat sich kontinuierlich fortgesetzt. Dies ist zum einen der verbesserten Akzeptanz der Meldekriterien und dem kontinuierlichen Monitoring der Verfügbarkeiten durch das BfArM geschuldet, zum anderen sind sie aber auch ein Indiz für eine generelle Zunahme von Lieferengpässen (Abb. 1).

Abb. 1. Erstmeldungen von Lieferengpässen [Arzneimittelinformationssystem AMIS; 09.01.2020]
Die Selbstverpflichtung umfasst derzeit vier Kriterien:
- Der Wirkstoff steht auf der Liste der Wirkstoffe, für welche die Selbstverpflichtung zur Meldung von Lieferengpässen gilt. Diese Liste beinhaltet Wirkstoffe, die als versorgungsrelevant angesehen werden und bei denen bereits eine kritische Anzahl an Zulassungsinhabern, endfreigebenden Herstellern oder Wirkstoffherstellern für einen bestimmten Wirkstoff unterschritten ist.
- Die Arzneimittel unterliegen der gesetzlichen Meldeverpflichtung an Krankenhäuser nach § 52b Abs. 3a AMG.
- Das vom Lieferengpass betroffene Arzneimittel hat einen Marktanteil von über 25 %.
- Für den Wirkstoff war bereits in der Vergangenheit ein Versorgungsmangel eingetreten.
Gründe für Lieferengpässe
Arzneimittel sind Waren besonderer Art, deren Entwicklung, Zulassung, Herstellung, Lagerung, Vertrieb und Überwachung hohen Qualitätsstandards unterliegen.
Bei der Meldung von Lieferengpässen wird in über 90 % als Grund „Produktionsprobleme“ angegeben. Unter Produktionsproblemen subsumieren sich Tatbestände wie die Änderung des Herstellungsverfahrens, GMP-Mängel (GMP = Good Manufacturing Practice), Herstellerwechsel, Probleme bei der Endfreigabe, unzureichende Produktionskapazitäten oder ein erhöhter Bedarf, dem durch Steigerung der eigenen Produktion nicht kurzfristig nachgekommen werden kann (Abb. 2).

Abb. 2. Verteilung der gemeldeten Gründe bei Lieferengpässen (LE) durch Produktionsprobleme (Quelle: LE-Datenbank; 13.01.2020); GMP: Good Manufacturing Practice
Vor allem, wenn beispielsweise für einen Wirkstoff oder ein Zwischenprodukt nur wenige Hersteller vorhanden sind, besteht ein erhöhtes Risiko, dass sich ein Lieferengpass zu einem Versorgungsengpass entwickeln kann.
Weitere Auslöser einer eingeschränkten Verfügbarkeit von Arzneimitteln können sein:
- Wirkstoffverknappung durch international erhöhten Bedarf
- Lieferabriss in einem anderen EU-Mitgliedsstaat
- Einstellen des Inverkehrbringens
- Verzicht auf die Zulassung
- Dominoeffekte bei den Mitbewerbern
Eine Auswertung der Lieferengpässe nach der Art der Anwendung zeigt, dass die gemeldeten Lieferengpässe zu 50 % Arzneimittel für die parenterale Anwendung betreffen. Die Zahlen belegen den aktuellen Fokus auf versorgungsrelevante Arzneimittel (Abb. 3).

Abb. 3. Auswertung der Lieferengpässe nach der Art der Anwendung [Arzneimittelinformationssystem AMIS; 13.01.2020]
Betrachtet man die Verteilung nach dem ATC-Code (ATC: Anatomisch-therapeutisch-chemisches Klassifikationssystem) für alle Erstmeldungen, entfallen auf den ATC-Code „C“ (kardiovaskuläres System) 25 % der Erstmeldungen, gefolgt vom ATC-Code „N“ (Nervensystem) mit 18 % und den Antiinfektiva zur systemischen Anwendung (ATC-Code „J“) mit 14 % (Abb. 4).

Abb. 4. ATC-Code-Verteilung der Erstmeldungen (in %)[Arzneimittelinformationssystem AMIS;09.01.2020] ATC: Anatomisch-therapeutisch-chemisches Klassifikationssystem; A: Alimentäres System und Stoffwechsel; B: Blut und blutbildende Organe; C: Kardiovaskuläres System; D: Dermatika; G: Urogenitalsystem und Sexualhormone; H: Systemische Hormonpräparate, exkl. Sexualhormone und Insuline; J: Antiinfektiva zur systemischen Anwendung; L: Antineoplastische und immunmodulierende Mittel; M: Muskel- und Skelettsystem; N: Nervensystem; P: Antiparasitäre Mittel, Insektizide und Repellenzien; R: Respirationstrakt; S: Sinnesorgane; V: Varia
Der hohe Anteil in Bezug auf das kardiovaskuläre System ist vor allem auf die Rückrufe Valsartan-haltiger Arzneimittel und weiterer Arzneimittel aus der Gruppe der Sartane zurückzuführen (Tab. 1).
Tab. 1. Beispiele relevanter Versorgungsengpässe
Wirkstoff |
Gründe für den Versorgungsengpass/Versorgungsmangel |
Cytarabin |
Mit Datum vom 24. September 2019 wurde die Bekanntmachung nach § 79 Abs. 5 Arzneimittelgesetz (AMG) für Cytarabin-haltige Arzneimittel vom 6. September 2019 veröffentlicht, da aufgrund von Produktionsproblemen der Bedarf nicht gedeckt werden konnte und eine therapeutische Alternative nicht zur Verfügung steht. Die Bekanntmachung wurde noch nicht aufgehoben (Stand: 24.01.2020). |
Melphalan |
Der Versorgungsengpass entstand im Jahr 2016 aufgrund einer GMP-Problematik beim Wirkstoffhersteller und weil keine alternativen Zulassungen mit identischem Wirkstoff zur Verfügung standen. Durch eine priorisierte Bearbeitung von Zulassungsanträgen stehen seit Mitte 2017 Alternativprodukte auch mit anderen Wirkstoffherstellern zur Verfügung. |
Oxytocin |
Im März 2019 trat aufgrund von Produktionsproblemen ein Versorgungsengpass für Oxytocin-haltige Arzneimittel ein. Da der Ausfall nicht durch wirkstoffgleiche Alternativen kompensiert werden konnte und therapeutische Alternativen nicht zur Verfügung standen, wurde der Versorgungsmangel gemäß § 79 Abs. 5 AMG festgestellt. Die entsprechende Bekanntmachung wurde im März erlassen. Im Juni 2019 konnte diese wieder aufgehoben werden. |
Piperacillin/ |
Ende 2016 kam es bei einem Wirkstoffhersteller zu einer Explosion, die zu einem Produktionsstopp führte. Der Wirkstoffhersteller hatte global einen Marktanteil von etwa 50 % und in Deutschland waren etwa 45 % Marktanteil betroffen. Am 20. Dezember 2016 erfolgte die Bekanntmachung des Versorgungsmangels gemäß § 79 Abs. 5 AMG. Die Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (ART) erarbeitete daraufhin in Zusammenarbeit mit diversen Fachverbänden eine Stellungnahme zu empfohlenen Therapiealternativen bei Nichtverfügbarkeit von Piperacillin/Tazobactam. Der Versorgungsmangel führte dazu, dass vermehrt auf alternative Wirkstoffe ausgewichen werden musste, die dann auch zu weiteren Lieferengpässen geführt haben (Dominoeffekt). Die Bekanntmachung wurde am 2. August 2017 aufgehoben. |
Remifentanil |
Im Dezember 2016 entstand ein Versorgungsengpass aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung, Arzneimittel mit dem Wirkstoff Remifentanil nicht weiter zu vermarkten. In Ermangelung einer rechtzeitigen Mitteilung, um bereits im Vorfeld mit allen Beteiligten eine Lösung zur Minderung der zu erwartenden Folgen abstimmen zu können, stand für mehrere Monate Remifentanil nicht ausreichend zur Verfügung, um die Vollversorgung zu gewährleisten. Flankierende Maßnahmen, wie ein von DGAI (Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin) und BDA (Berufsverband Deutscher Anästhesisten) verfasstes Informationsschreiben an die Ärzteschaft mit der Empfehlung, Remifentanil auf die Anwendung bei eindeutiger Indikationsstellung zu reduzieren, wurden auf der BfArM-Internetseite publiziert. |
Valsartan |
Im Juli 2018 kam es zu einem umfassenden chargenbezogenen Rückruf Valsartan-haltiger Arzneimittel. Grund für den Rückruf war eine produktionsbedingte Verunreinigung des Wirkstoffs Valsartan mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA). Die Rückrufe betrafen zu Beginn etwa 40 % des nationalen Marktes, später noch deutlich mehr. Es folgte eine massiv eingeschränkte Lieferfähigkeit von Valsartan-haltigen Arzneimitteln, die zur Verordnung therapeutischer Alternativen führte. Da neben Candesartan der Wirkstoff Valsartan der am zweithäufigsten verordnete Wirkstoff aus der Gruppe der Sartane ist, konnte eine umfängliche Kompensation nicht ad hoc geleistet werden. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) leitete in Abstimmung mit den europäischen Mitgliedsstaaten ein Risikobewertungsverfahren zu Valsartan-haltigen Arzneimitteln ein, das zu konkreten Maßnahmen zur Risikominimierung führte, deren Umsetzung durch die betroffenen Unternehmen zum Teil noch bis heute andauert. |
Jour fixe „Liefer- und Versorgungsengpässe“
Im Pharmadialog der Bundesregierung wurde 2016 vereinbart, dass ein „Jour fixe“ zum Thema Lieferengpässe unter Beteiligung der Bundesoberbehörden und der Fachkreise unter der Leitung des BfArM eingerichtet werden soll. Der Jour fixe dient dazu, die Versorgungslage zu beobachten und zu bewerten. Die erste Sitzung fand am 8. September 2016 im BfArM statt. Bislang haben 14 reguläre Sitzungen stattgefunden.
Als weiteres Ergebnis des Pharmadialogs hatte sich die pharmazeutische Industrie verpflichtet, durch weitere Optimierung ihrer Prozesse und des Qualitätsmanagements zu einer Verbesserung der Versorgungssituation beizutragen. Das beinhaltet auch eine frühzeitige Information der Zulassungsbehörden und Kliniken über drohende Lieferengpässe bei für die Versorgung wichtigen Wirkstoffen.
Eine Liste versorgungsrelevanter, engpassgefährdeter Arzneimittel wurde über den Jour fixe verabschiedet und wird regelmäßig überprüft, was auch für die Meldekriterien gilt. Beide Maßnahmen sollen dabei helfen, gezielt die Versorgung mit diesen Arzneimitteln sicherzustellen.
Auch wenn die Beschlüsse des Jour fixe aktuell lediglich empfehlenden Charakter haben, werden diese in hohem Maße akzeptiert. So wurden zum Beispiel im Jour fixe die aktuell geltenden Regelungen zur Meldung von Lieferengpässen einvernehmlich abgestimmt. Insbesondere im Valsartan-Fall hat der Jour fixe unter Beweis gestellt, dass er auch in Krisensituationen professionell und zuverlässig agiert. So konnten in der Sitzung des Jour fixe, die regulär für den 4. Juli 2018 angesetzt war, ad hoc alle für die anstehenden Rückrufe relevanten Entscheidungen getroffen und Zuständigkeiten festgelegt werden.
Vor dem Hintergrund des Versorgungsmangels Piperacillin-haltiger Arzneimittel Ende 2016/Anfang 2017 hatte sich der Jour fixe auch mit der Frage befasst, wie die Lieferfähigkeit versorgungsrelevanter Arzneimittel in Krankenhäusern verbessert werden könnte.
Die Arbeiten mündeten in Empfehlungen zur Verbesserung der Lieferfähigkeit versorgungsrelevanter Arzneimittel in Kliniken, welche im 10. Jour fixe am 11. Juli 2019 einstimmig verabschiedet werden konnten. Die Empfehlungen sind auf der Homepage des BfArM veröffentlicht.
Das Dokument enthält Empfehlungen, wie im Rahmen der Vertragsgestaltung zwischen der pharmazeutischen Industrie und Apothekenbetreibern die Robustheit der Lieferfähigkeit für Kliniken besser berücksichtigt werden kann. Dazu gehören unter anderem die Transparenz zu Produktionsbedingungen und Lagerkapazitäten wie auch verbindliche Zusagen, beispielsweise zur Produktion und zur Bevorratung. Weitere Aspekte sind Abnahmegarantien, aber auch Anreize, parallele Produktionslinien bei unterschiedlichen Herstellern (Wirkstoff- und Zwischenproduktehersteller) zu betreiben. Die verabschiedeten Empfehlungen enthalten somit auch Aspekte, die der zunehmenden Monopolisierung bzw. Oligopolisierung bei der Arzneimittelproduktion entgegenwirken könnten. Der Jour fixe wird die Umsetzung der Empfehlungen beobachten. Mit konkreten Ergebnissen kann aber erst in mehreren Jahren gerechnet werden.
Ausblick
Mit der Umsetzung des „Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV-FKG), welches am 13.02.2020 vom Bundestag verabschiedet wurde, erhalten die Bundesoberbehörden weitere Kompetenzen, um im Falle eines drohenden oder bestehenden versorgungsrelevanten Lieferengpasses geeignete Maßnahmen zu dessen Abwendung oder Abmilderung ergreifen zu können. Unter anderem wurde beschlossen:
- Den Jour fixe als Beirat unter der Leitung des BfArM im AMG zu verankern und diesen durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Deutsche Krankenhausgesellschaft sowie einen Vertreter der Interessen der Patientinnen und Patienten zu erweitern (§ 52b Abs. 3b AMG).
- Die Selbstverpflichtung zur Meldung von Lieferengpässen wird in eine gesetzliche Meldeverpflichtung überführt (§ 52b Abs. 3f AMG).
- Möglichkeiten zur Durchsetzbarkeit von gezielten Maßnahmen wurden geschaffen, z. B. gegenüber den Großhändlern und Zulassungsinhabern zur erweiterten Lagerhaltung und der Kontingentierung (§ 52b Abs. 3d und 3e AMG).
- Dem BfArM und dem PEI wird die Möglichkeit eröffnet, zur Abwendung oder Abmilderung eines drohenden oder bestehenden versorgungsrelevanten Lieferengpasses Daten zu verfügbaren Beständen, zur Produktion und zur Absatzmenge sowie Informationen zu drohenden Lieferengpässen des jeweiligen Arzneimittels von den pharmazeutischen Unternehmen und Arzneimittelgroßhandlungen anzufordern (§ 52b Abs. 3e AMG).
- Dem BfArM und dem PEI wird die Möglichkeit eröffnet, bei Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind und die durch Ärzte oder Zahnärzte unmittelbar an Patienten angewendet werden, im Fall eines drohenden oder bestehenden versorgungsrelevanten Lieferengpasses auf Antrag des Zulassungsinhabers im Einzelfall zu gestatten, dass das Arzneimittel abweichend von Vorschriften in § 10 und 11 AMG befristet mit einer Kennzeichnung oder Packungsbeilage in einer anderen als der deutschen Sprache in den Verkehr gebracht wird (§ 10 Abs. 1a AMG und § 11 Abs. 1c AMG).
Mit der Umsetzung dieser Maßnahmen haben die Bundesoberbehörden auch einen gesetzlichen Auftrag in Bezug auf behördliche Maßnahmen bei Lieferengpässen erhalten.
Das BfArM begrüßt diese Maßnahmen, da bereits heute das BfArM als zentral zuständige Stelle angesehen wird, wie auch das PEI bei Lieferengpässen von Impfstoffen. Mit einem gesetzlichen Mandat kann diese Arbeit noch wirkungsvoller fortgeführt werden.
Das BfArM ist bereit, den in 2016 begonnen Weg der aktiven Koordination konsequent weiterzugehen mit dem Ziel der bestmöglichen Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Arzneimitteln. Dieses betrifft sowohl die Verbesserung der Versorgungssituation bei akuten Ereignissen als auch die mittelfristige Reduzierung von Abhängigkeiten und damit die Schaffung von belastbaren strukturellen Verbesserungen für die Arzneimittelversorgung. Hierfür engagiert sich das BfArM auf nationaler, europäischer wie auch auf globaler Ebene.
Lieferengpässe – Kontakt
Umfangreiche Informationen zu Lieferengpässen sind auf der Homepage des BfArM zu finden: www.bfarm.de/lieferengpaesse
Fragen können an die E-Mailadresse: lieferengpaesse@bfarm.de gerichtet werden.

Dr. Michael Horn, Leiter der Abteilung Zulassung 1 im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) seit 2007. Seit 2016 zusätzlich zuständig für den Bereich Liefer- und Versorgungsengpässe und Leiter des Jour Fixe zu Liefer- und Versorgungsengpässen.
Interessenkonflikterklärung
Es bestehen keine Interessenkonflikte.
Dr. Michael Horn, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, 53175 Bonn, E-Mail: Michael.Horn@bfarm.de
Gabriele Eibenstein M.A., Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, 53175 Bonn, E-Mail: Gabriele.Eibenstein@bfarm.de
Introduction
Shortages in the supply of medicines pose a variety of challenges for all those involved in the supply of medicines. Above all, they can have serious consequences for patients if it is not feasible to continue a therapy with the "known" medicinal product, if therapies have to be interrupted or cannot be carried out at all. Any non-availability of a medicinal product can have a negative impact on patient compliance and thus endanger the success of the therapy. The effort to procure suitable alternative preparations can be considerable in both the outpatient and inpatient sectors.
Not every shortage of supply is also relevant to care. For some years now, however, there have been an increasing number of cases where, for example, the global supply of medicinal products is affected by the loss of a single manufacturer. The dependence on individual companies is therefore regarded by the BfArM as particularly critical with regard to the secure supply of drugs.
Role of the BfArM
At the beginning of 2016, the Federal Institute for Drugs and Medical Devices (BfArM), in coordination with the Federal Ministry of Health (BMG), decided to become actively involved in situations of shortages in supply and thus contribute to an improvement of the situation. Furthermore, as a result of the "Pharmaceutical Dialogue of the Federal Government", the "Jour fixe on Delivery and Supply Shortages" was also established in 2016.
In 2013, BfArM introduced a first procedure for the submission and publication of reports of shortages, with the aim of improving the transparency of any shortage of medicines for the treatment of life-threatening or serious illnesses. The first notification BfArM received in April 2013 and since then the structure of the organisation and processes is under continuous development in order to provide BfArM with a valid basis for dealing with shortages in a differentiated manner.
A contact point for shortages has been set up, which is responsible for monitoring. The BfArM provides extensive information on its website and information about shortages is structured and entered into a federal shortages database using a reporting form. They are therefore permanently available to the public.
As part of the so-called criticality check, the BfArM assesses to what extent a reported shortage situation could have a supply relevance and which measures could be taken if necessary.
In the event of an impending or existing supply shortage, the BfArM can investigate facts, obtain information, carry out assessments and evaluations, establish contacts with all relevant actors and initiate the priority processing of existing procedures.
The BfArM takes a comparable approach in case of reliable information about possible shortage situations transmitted by citizens, state authorities, professional associations, specialist circles or other organisations.
The "Jour fixe on Delivery and Supply Shortages" specified the reporting system and the reporting criteria for industry and published the present state on the BfArM website. Against the background of transparent criteria and parameters, there was already a significant increase in reports of supply shortages in 2017. This development has continued continuously. On the one hand, this is due to the improved acceptance of the reporting criteria and the continuous monitoring of availabilities by the BfArM. On the other hand, they are also an indication of a general increase in supply shortages.
The notifications are required by the pharmaceutical companies and are based on the voluntary commitment to notify shortages for supply-related medicines that was declared in the pharma dialogue.
Reasons of shortages
Medicinal products are a special kind of goods, the development, approval, manufacture, storage, distribution and monitoring of which are subject to high quality standards.
When reporting shortages of medicinal products, "production problems" mentioned as the reason in over 90 % of the cases. Production problems include facts such as a change in the manufacturing process, GMP deficiencies, a change of manufacturer, difficulties in final approval, inadequate production capacity or an increased demand that cannot be met in the short term by increasing the own production.
Jour fixe on Delivery and Supply Shortages
In 2016, the pharmaceutical dialogue of the federal government agreed that a "Jour fixe" on the subject of shortages of medicinal products should be set up with the participation of the higher federal authorities, the specialist circles and interested parties under the direction of the BfArM. The first meeting took place on September 8, 2016 at the BfArM. So far, 14 regular meetings have been held.
The jour fixe serves to monitor and assess the supply situation. The decisions of the jour fixe are of an advisory nature, but are widely accepted. The jour fixe, for example, agreed the currently applicable regulations on reporting shortages by mutual agreement and worked out a recommendation on how the robustness of supply excellence for hospitals can be better taken into account in the context of contract design between the pharmaceutical industry and pharmacy operators.
Various new legal regulations to improve the ability to deliver and the transparency of shortage situations are currently being discussed. Among other things, there is discussion
- To anchor in the AMG the jour fixe as an advisory board headed by the BfArM
- To convert the voluntary commitment into a statutory reporting obligation
- About the possibilities of the enforceability of targeted measures (e.g. for extended warehousing and the allocation) for the BfArM and PEI
- To introduce a legal obligation with the aim of providing the BfArM with information on inventory from pharmaceutical companies and the pharmaceutical wholesale trade on request.
If these measures were implemented, the higher federal authorities would also receive a legal mandate in relation to official measures in the event of shortages.
The BfArM welcomes these proposed measures, especially as the BfArM is regarded as the central competent body already. The BfArM is ready to continue the path of active coordination that started in 2016 with the aim of providing patients with the best possible medication. This concerns both the improvement of the care situation in the event of acute events and the medium-term reduction of dependencies and thus the creation of resilient structural improvements for the supply of medicines. The BfArM is committed to this at national, European and global level.
Extensive information on shortages of medicinal products is available on the BfArM website: www.bfarm.de/lieferengpaesse.
Questions can be directed to the email address: Lieferengpaesse@bfarm.de.
Role of the BfArM and work of the jour fixe on delivery and supply shortages
At the beginning of 2016, the Federal Institute for Drugs and Medical Devices (BfArM), in coordination with the Federal Ministry of Health (BMG), decided to become actively involved in situations of shortages in supply and thus contribute to an improvement of the situation. Furthermore, as a result of the "Pharmaceutical Dialogue of the Federal Government", the "Jour fixe on Delivery and Supply Shortages" was also established in 2016.
The "Jour fixe on Delivery and Supply Shortages" specified the reporting system and the reporting criteria for industry and published the present state on the BfArM website. Against the background of transparent criteria and parameters, there was already a significant increase in shortage reports in 2017. As part of the so-called criticality check, the BfArM assesses, to what extent a reported shortage situation could have a supply relevance and which measures could be taken if necessary.
In the event of an impending or existing supply shortage, the BfArM can investigate facts, obtain information, carry out assessments and evaluations, establish contacts with all relevant actors and initiate the priority processing of existing procedures.
Key words: BfArM, medicinal product, shortages, supply, jour fixe, availability, transparency, criticality, reporting system, production problems
Arzneimitteltherapie 2020; 38(05):176-182