Dr. Stefan Fischer, Stuttgart
In der Erstlinientherapie der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) stehen je nach Mutationsstatus und Zustand der Patienten mehrere Chemoimmuntherapien oder der Tyrosinkinasehemmer Ibrutinib zur Verfügung. Die Chemoimmuntherapien werden zeitlich begrenzt verabreicht, können jedoch zu schweren Immundefekten oder sekundären Neoplasien führen. Die zielgerichtete Therapie mit Ibrutinib muss dafür kontinuierlich verabreicht werden.
Daher untersuchten die Autoren der CLL-14-Studie, ob die chemotherapiefreie Kombination aus dem Bcl-2-Inhibitor Venetoclax (Venclyxto®) und dem Anti-CD-20-Antikörper Obinutuzumab (Gazyvaro®) eine Alternative in der Erstlinientherapie sein könnte. Die Behandlungsdauer war zeitlich begrenzt und betrug 48 Wochen.
Studie in der Erstlinientherapie
Bei den Teilnehmern der CLL-14-Studie (NCT 02242942) [1] handelte es sich um nicht vorbehandelte, behandlungsbedürftige Patienten, die zusätzlich zur CLL unter weiteren Vorerkrankungen litten (unfit, Abb. 1). Im Median waren sie 72 Jahre alt und hatten eine Creatinin-Clearance von 66 ml/min. Die genetischen Prognosefaktoren für einen ungünstigen Verlauf waren in beiden Gruppen ähnlich.

Abb. 1. Design CLL-14-Studie; CIRS: cumulative illness rating scale; CLL: chronische lymphatische Leukämie; CrCl: Creatinin-Clearance
Die Koordinatoren randomisierten 432 Patienten in zwei Behandlungsarme:
- Venetoclax: p. o., 5-wöchige Aufdosierung beginnend mit Zyklus 1 am Tag 22 [20, 50, 100, 200, 400 mg], dann 400 mg täglich bis zum Ende von Zyklus 12
- Chlorambucil: p. o., 0,5 mg/kg Körpergewicht an Tag 1 und Tag 15 der Zyklen 1–12, alle 28 Tage
In beiden Fällen erfolgte die Kombination mit Obinutuzumab: Infusion, 1000 mg an Tag 1 (oder 100 mg an Tag 1 und 900 mg an Tag 2), 8 und 15 des 1. Zyklus; 1000 mg an Tag 1 der Zyklen 2 bis 6, alle 28 Tage.
Der primäre Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS), beurteilt durch die Prüfärzte.
Längeres progressionsfreies Überleben
Nach zwei Jahren betrug das PFS in der Venetoclax-Gruppe 88,2 % (95%-Konfidenzintervall [KI] 83,7–92,6) versus 64,1 % (95%-KI 57,7–70,8) in der Chlorambucil-Gruppe. Nach drei Jahren waren es 81,9 % versus 48,5 %. Dieser Vorteil zeigte sich ebenfalls in allen genetischen Subgruppen.
Auch beim Gesamtansprechen und der minimalen Resterkrankung (MRD) zeigten sich Vorteile für den Venetoclax-Arm. Beim Gesamtüberleben konnten die Autoren keinen Unterschied feststellen.
Kein Tumor-Lyse-Syndrom
Die häufigsten berichteten schwerwiegenden Nebenwirkungen betrafen in beiden Armen das blutbildende System oder es handelte sich um Infektionen. Im Venetoclax-Arm traten bei 78,8 % der Patienten Nebenwirkungen der Grade 3 bis 4 auf (vs. 76,6 % unter Chlorambucil).
Ein klinische relevantes Tumor-Lyse-Syndrom beobachteten die Studienärzte nicht (Kasten).
Tumor-Lyse-Syndrom
Es kommt zur Entgleisung des Stoffwechsels. Abbauprodukte, die bei der Zerstörung des Tumors entstehen, überfordern die Nierenfunktion und können die Nieren schädigen. Venetoclax muss daher einschleichend und nach dem Therapiebeginn mit Obinutuzumab verabreicht werden (siehe Studiendesign). Zusätzlich muss der Patient ausreichend trinken (1,5 bis 2 Liter pro Tag) und Allopurinol einnehmen.
In der Venetoclax-Gruppe kam es zu 16 (8 %) Todesfällen versus 8 (4 %) unter Chlorambucil. 11 beziehungsweise 4 Patienten verstarben nach Behandlungsende.
Zulassung und Leitlinien
Seit März 2020 ist Venetoclax in Kombination mit Obinutuzumab als Erstlinientherapie der CLL zugelassen.
Die Deutsche CLL-Studiengruppe (GCLLSG) hat ihren offiziellen Behandlungsalgorithmus auf Basis der CLL-14-Studie aktualisiert. Bei unfitten Patienten ist die Kombination Venetoclax plus Obinutuzumab nun als Option für eine behandlungsbedürftige Erkrankung aufgenommen worden. Auch für fitte Patienten ist die Kombination bereits aufgeführt. Man möchte aber noch die Ergebnisse der CLL-13-Studie abwarten.
Fazit
Venetoclax in Kombination mit Obinutuzumab ist die erste chemotherapiefreie Behandlungsoption in der Erstlinientherapie der CLL, die zeitlich auf unter ein Jahr begrenzt ist. Die zeitliche Begrenzung ist möglich, da die sehr geringe minimale Resterkrankung unter der Therapie auf lange Remissionen hindeutet. Der Arzt muss die Auswahl der Therapie zusammen mit seinem Patienten diskutieren. Dabei spielen die jeweiligen spezifischen Nebenwirkungen, aber auch die jeweilige praktische Umsetzung der Therapie eine Rolle.
Quelle
Prof. Dr. Barbara Eichhorst, Köln, Dr. Kirsten Fischer, Köln, Dr. Ingo Schwaner Berlin; Online-Fachpressekonferenz „Endlich & zielgerichtet in der CLL-Erstlinie – neue Zulassung für CLL-Kombinationsregime mit Venetoclax“, veranstaltet von AbbVie, 1. April 2020.
Literatur
1. Fischer K et al. Venetoclax and obinutuzumab in patients with CLL and coexisting conditions. N Engl J Med 2019;380:2225–36.
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Arzneimitteltherapie 2020; 38(06):269-271