Akute myeloische Leukämie

Glasdegib plus Cytarabin bei unfitten Patienten


Veröffentlicht am: 04.09.2020

Dr. Stefan Fischer, Stuttgart

Mit einem Kommentar des Autors
Glasdegib wurde im Juni 2020 zur Therapie der akuten myeloischen Leukämie bei Patienten zugelassen, die für eine intensive Chemotherapie nicht geeignet sind. In einer Phase-II-Studie führte die Gabe von Glasdegib zusätzlich zu niedrig dosiertem Cytarabin zu einem längeren Gesamtüberleben. Dabei traten mehr unerwünschte Ereignisse auf als unter der Cytarabin-Monotherapie. Die Ergebnisse der Studie wurden auf einer virtuellen Pressekonferenz von Pfizer im Juli 2020 vorgestellt.

Bei der akuten myeloischen Leukämie ist durch Mutationen oder Chromosomenschäden die Ausreifung von Vorläuferzellen gestört. Es kommt daher zur pathologischen Proliferation unreifer und klonaler myeloischer Zellen. Symptomatische Folgen sind Infektions- und Blutungsneigung sowie Anämie.

Jüngere Patienten mit wenigen Vorerkrankungen („fit“) sollen eine intensive Chemotherapie erhalten. Dadurch kann bei einigen bereits eine Heilung erreicht werden. Bei weiteren gelingt dies durch eine anschließende allogene Stammzelltransplantation.

Bei Patienten, die nicht für eine intensive Chemotherapie geeignet sind („unfit“), kommen hypomethylierende Substanzen (Azacitidin oder Decitabin) zum Einsatz. Alternativ stehen auch Regime mit niedrig dosiertem Cytarabin (LDAC) zur Verfügung. Vertragen die Patienten keine dieser Therapien, kann eine beste unterstützende Therapie mit Hydroxycarbamid zur Zytoreduktion erfolgen. Ein hohes Alter ist heute allerdings kein zwingendes Kriterium mehr gegen eine intensive Chemotherapie. Bei Patienten über 60 Jahre sollten die Ärzte Faktoren wie Komorbidität oder einen schlechten Performance-Status (ECOG > 2) berücksichtigen.

Wirkungsmechanismus von Glasdegib

Der Hedgehog-Signalweg spielt in leukämischen Stammzellen eine Rolle beim Überleben und bei der Expansion der Zellen. In adulten, gesunden Zellen ist er normalerweise inaktiv, jedoch bei manchen leukämischen Zellen von Bedeutung. Hier greift Glasdegib (Daurismo®) ein. Es hemmt durch Bindung an das Transmembranprotein SMO den Hedgehog-Signalweg (Abb. 1). Auf Basis der Ergebnisse der BRIGHT-1003-Studie wurde Glasdegib im Juni 2020 zur Therapie der AML zugelassen (Kasten).

Abb. 1. Hedgehog-Signalweg: Sobald Hedgehog (HH) an den Rezeptor PTCH (Patched) bindet, wird die SMO-Inhibition (SMO = Smoothened) unterbrochen, was zur Aktivierung durch Phosphorylierung und nachgeschalteter Aktivierung der Transkription des Zielgens führt [2]. GLI: glioma-associated oncogene; SUFU: suppressor of fused homolog

Studiendesign

Die Autoren der Phase-II-Studie BRIGHT 1003 [3] untersuchten die Wirksamkeit und Sicherheit von Glasdegib in Kombination mit LDAC im Vergleich zu LDAC allein (Abb. 2).

Abb. 2. Studiendesign BRIGHT-1003 [3] AML: akute myeloische Leukämie; ECOG PS: Eastern Cooperative Oncology Group performance status; LDAC: niedrig dosiertes Cytarabin; LVEF: linksventrikuläre Ejektionsfraktion; OS: Gesamtüberleben; PD: Pharmakodynamik; PK: Pharmakokinetik * Patienten mit ECOG 1 oder 0 waren ebenfalls zur Studie zugelassen, wenn sie mindestens ein anderes Kriterium erfüllten.

Die Patienten waren nicht für eine intensive Chemotherapie geeignet.

  • 61 % waren 75 Jahre oder älter.
  • Etwa 50 % der Patienten hatten einen ECOG Performance-Status von 2.
  • Bei 17 % lag eine Funktionseinschränkung der Niere vor.
  • 62 % hatten eine schwere Herzerkrankung.

Studienergebnisse

Das mediane Gesamtüberleben war unter der Glasdegib-Kombinationstherapie höher als unter LDAC allein (8,3 Monate vs. 4,3 Monate; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,30–0,72). Beim Gesamtansprechen zeigte sich ebenfalls ein Vorteil für Glasdegib (26,9 vs. 5,3 %).

Durch die Kombination mit Glasdegib kam es aber auch zu mehr unerwünschten Ereignissen [3]:

  • Übelkeit (36 vs. 12 %)
  • Diarrhö (27 vs. 22 %)
  • Obstipation (25 vs. 15 %)
  • Muskelkrämpfe (23 vs. 5 %)

Die Patienten benötigten durch die Kombination allerdings wiederum seltener Transfusionen (Tranfusionsunabhängigkeit nach ≥ 8 Wochen: 28,2 vs. 5,3 %) [Vortrag Heidel].

Fazit und Kommentar

Glasdegib hat bei erwachsenen Patienten mit neu diagnostizierter de novo oder sekundärer AML, die für eine intensive Chemotherapie ungeeignet sind, ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil. Die zusätzlichen Nebenwirkungen muss der Arzt jedoch zum Beispiel mit Motilitätshemmern (Diarrhö) und Antiemetika (Übelkeit) behandeln.

Der Wirkstoff zeigte in der BRIGHT-1003-Studie eine Wirksamkeit unabhängig vom Mutationsstatus. Entsprechend ist die Zulassung formuliert (Kasten). Zwar könnten Patienten mit bestimmten Mutationen weniger profitieren als andere, aber die Bestimmung des Mutationsstatus und die damit wahrscheinlich verbundene invasive Diagnostik würden voraussichtlich nur wenige Personen ausschließen.

Die Bewertung der Kombination Glasdegib plus niedrig dosiertes Cytarabin (LDAC) ist schwierig. Die BRIGHT-1003-Studie vergleicht die Wirkung von Glasdegib plus LDAC mit der LDAC-Monotherapie. Allerdings sind die hypomethylierenden Substanzen (Azacitidin, Decitabin) als Monotherapie wirksamer als LDAC und mittlerweile der Therapiestandard in diesem Patientenkollektiv.

Vielleicht erübrigt sich diese Diskussion, sobald die laufende Phase-III-Studie zur Kombination von Glasdegib mit hypomethylierenden Substanzen veröffentlicht wird.

Positiv zu bewerten ist, dass sowohl Glasdegib als auch LDAC ambulant eingesetzt werden können. Gerade ein Patientenkollektiv, bei dem das Therapieziel in der Regel nicht mehr die Heilung ist, sollte die gewonnene Zeit gut nutzen können, statt sie in der Klinik zu verbringen.

Indikation Daurismo®

Daurismo® (Glasdegib) wird angewendet in Kombination mit niedrig dosiertem Cytarabin für die Behandlung von neu diagnostizierter de novo oder sekundärer akuter myeloischer Leukämie (AML) bei erwachsenen Patienten, die nicht für eine Standard-Induktionschemotherapie infrage kommen [1].

Quelle

Vorträge von Dr. Jan Hendrik Schefe, Berlin, und Prof. Dr. Florian Heidel, Jena; im Rahmen der virtuellen Pressekonferenz „Akute myeloische Leukämie (AML): Neues zu Behandlungsoptionen für PatientInnen, die nicht für eine intensive Chemotherapie in Frage kommen“, 14. Juli 2020, veranstaltet von Pfizer.

Literatur

1. Fachinformation Daurismo®. Pfizer Pharma GmbH (Stand Juni 2020).

2. Heidel FH, et al. Evolutionarily conserved signaling pathways: acting in the shadows of acute myelogenous leukemia’s genetic diversity. Clin Cancer Res 2015;21:240–48.

3. Cortes JE, et al. Randomized comparison of low dose cytarabine with or without glasdegib in patients with newly diagnosed acute myeloid leukemia or high-risk myelodysplastic syndrome. Leukemia 2019;33:379–89.


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Arzneimitteltherapie 2020; 38(09):399-405