Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Die Therapie chronisch neuropathischer Schmerzen ist schwierig. Eingesetzt werden nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie unter anderem trizyklische Antidepressiva und Pregabalin oder Gabapentin. In therapierefraktären Fällen kommen retardierte Opioide zum Einsatz[2].
In der Pathophysiologie chronisch neuropathischer Schmerzen spielen NMDA-Rezeptoren eine wichtige Rolle. Ketamin ist ein potenter Antagonist am NMDA-Rezeptor. Es gab kleinere offene Studien die nahelegten, dass Ketamin bei neuropathischen Schmerzen möglicherweise wirksam ist [1]. Magnesium ist ein physiologischer Antagonist am NMDA-Rezeptor und hat möglicherweise ebenfalls eine Wirkung bei neuropathischen Schmerzen.
Studiendesign
Es handelte sich um eine kleine, randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Cross-over-Studie bei 20 Patienten mit neuropathischen Schmerzen (Tab. 1). Die Patienten erhielten entweder eine Infusion mit Ketamin (0,5 mg/kg) oder Ketamin in Kombination mit 3 g Magnesium oder Placebo. Nach 35 Tagen erfolgte dann jeweils die nächste Therapie im Rahmen des Cross-over-Designs. Der primäre Endpunkt war die Fläche unter der Wirksamkeitskurve für die tägliche Schmerzintensität für jeweils 35 Tage nach der Infusion.
Tab. 1. Studiendesign [Pickering et al. 2020]
Erkrankung |
Therapierefraktäre neuropathische Schmerzen |
Studientyp/Design |
Randomisierte, doppelblinde Cross-over-Studie |
Patienten |
20 |
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Fläche unter der Wirksamkeitskurve für die tägliche Schmerzintensität |
Sponsor |
University Hospital, Clermont-Ferrand |
Studienregisternummer |
Ergebnisse
Die Patienten waren im Mittel 54 Jahre alt und der chronisch neuropathische Schmerz bestand im Mittel seit fünf Jahren. Die mittlere Schmerzintensität auf einer Skala von 0 bis 10 wurde mit 6 angegeben. Bei den meisten Patienten bestand eine Vortherapie mit trizyklischen Antidepressiva. Die tägliche Schmerzintensität unterschied sich nicht signifikant zwischen den drei Gruppen (n = 20) über 35 Tage (p = 0,296) (Tab. 2). Die Effektgröße des primären Endpunkts betrug
- –0,2 (95%-Konfidenzintervall [KI] –0,6 bis 0,3; p = 0,425) für Ketamin gegenüber Placebo
- 0,2 (95%-KI –0,3 bis 0,6; p = 0,445) für Placebo gegenüber Ketamin plus Magnesium und
- –0,4 (95%-KI –0,8 bis 0,1; p = 0,119) für Ketamin gegenüber Ketamin plus Magnesium.
Tab. 2. Studienergebnisse [Pickering et al. 2020]
Infusion mit Ketamin |
Ketamin in Kombination mit 3 g Magnesium |
Placebo |
|
Tägliche Schmerzintensität (mittlere Fläche unter der Kurve) |
185 ± 100 |
196 ± 92 |
187 ± 90 |
Häufigkeit unerwünschter Arzneimittelwirkungen |
20 % |
35 % |
10 % |
Es gab keine signifikanten Unterschiede für die sekundären Endpunkte Emotionalität, Schlafqualität und Lebensqualität.
Kommentar
Die kleine randomisierte Cross-over-Studie ist klinisch bedeutsam, da in letzter Zeit vor allem im Internet die Therapie chronisch neuropathischer Schmerzen und auch anderer chronischer Schmerzen mit Ketamin propagiert wird. Die Studie war eindeutig negativ und es besteht daher keine therapeutische Rechtfertigung, bei diesen Patienten Ketamin einzusetzen. Dies ist zusätzlich von Bedeutung, da Ketamin ein nicht unerhebliches Abhängigkeitspotenzial hat.
Quelle
Pickering G, et al. Ketamine and magnesium for refractory neuropathic pain: A randomized, double-blind, crossover trial. Anesthesiology 2020;133:154–64.
Literatur
1. Kamp J, et al. Pharmacokinetic and pharmacodynamic considerations for NMDA-receptor antagonist ketamine in the treatment of chronic neuropathic pain: an update of the most recent literature. Expert Opin Drug Metab Toxicol 2019;15:1033–41.
2. Schlereth T. et al., Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen, S2k-Leitlinie, 2019, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 15.07.2020).
Arzneimitteltherapie 2020; 38(09):377-389