Schubförmige multiple Sklerose (RMS)

Ozanimod ist Interferon überlegen


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Starnberg

Mit Ozanimod steht inzwischen ein selektiver S1P-Rezeptoragonist für die Therapie der schubförmigen multiplen Sklerose zur Verfügung. Die Substanz entfaltet ihre antiinflammatorische Wirkung, indem sie den Austritt der Lymphozyten aus den Lymphknoten verhindert. Die kürzlich erfolgte Zulassung basiert auf den Ergebnissen von zwei Phase-III-Studien. Sie zeigen im Vergleich mit Interferon eine Überlegenheit hinsichtlich der jährlichen Schubrate und der neu aufgetretenen Läsionen im MRT. Die Daten wurden im Rahmen eines von der Firma Celgene anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) veranstalteten digitalen Symposiums vorgestellt.

Bei der multiplen Sklerose (MS) greift das Immunsystem die Myelinscheiden der Nervenfasern an, wobei den Lymphozyten eine wichtige pathogenetische Bedeutung zukommt. Dies führt zu einer irreversiblen Schädigung der Nervenleitung. Bei der schubförmig verlaufenden MS (relapsing multiple sclerosis; RMS), die mit 85 % den häufigsten Verlaufstyp darstellt, wechseln sich Phasen einer Verschlechterung der neurologischen Symptomatik mit solchen einer teilweisen bzw. vollständigen Besserung der Symptome – einer Remission – ab. Bei nur 10 bis 15 % findet sich die primär progrediente Verlaufsform.

Wichtig ist eine maßgeschneiderte Frühtherapie

Die Therapie der schubförmigen MS hat durch die Einführung einer Reihe von neuen immunmodulierenden Substanzen in den letzten Jahren große Fortschritte erfahren. Wichtig ist aber, dass die Therapie früh beginnt. Ein frühzeitiger Einsatz der modernen hocheffizienten Therapien kann den Krankheitsverlauf, genauer gesagt die Konversion zu einer sekundär progredienten MS (SPMS), verzögern. Ein Jahr nach Krankheitsbeginn behandelte Patienten zeigen einen günstigeren Verlauf als solche, bei denen erst drei Jahre nach der Diagnosestellung die Behandlung startet. Auch wird nach einer Therapieunterbrechung die Behandlung oft nicht frühzeitig wieder aufgenommen und ein frühzeitiger Therapiewechsel erfolgt nur bei wenigen Patienten.

Ein selektiver S1PR-Agonist

Ozanimod (Zeposia®) ist ein selektiver, niedermolekularer und oral verfügbarer Wirkstoff. Die Substanz entfaltet ihre spezifische agonistische Wirkung auf die S1P-Rezeptor-Subtypen 1 und 5. S1P interagiert mit den G-Protein-gekoppelten S1P-Rezeptoren, die verschiedene immunologische, kardiologische und neurologische Prozesse beeinflussen. Im Unterschied zu Fingolimod, einem unspezifischen S1PR-Modulator, werden die S1PR3- und S1PR4-Rezeptor-Subtypen durch Ozanimod nicht beeinflusst. Angesichts der geringeren Plasmaspitzenwerte von Ozanimod tritt auch die unter Fingolimod häufig beobachtete, S1PR1-vermittelte Bradykardie seltener auf.

Der klinische Einsatz von Ozanimod ergibt sich aus der antiinflammatorischen Wirkung, indem der Austritt der Lymphozyten aus den Lymphknoten in die Blutbahn gehemmt wird. Der Effekt ist reversibel, sodass sich die Lymphozytenpopulationen nach Absetzen von Ozanimod im Blut normalisiert.

Überzeugende Studienergebnisse

Die Wirksamkeit und Sicherheit von Ozanimod wurde im Rahmen zweier Phase-III-Studien (SUNBEAM und RADIANCE) untersucht, und zwar im Vergleich zu Interferon beta-1a. In beiden Studien zeigte Ozanimod eine Überlegenheit hinsichtlich der Reduktion der jährlichen Schubrate und der im MRT nachweisbaren Hirnläsionen. So wurde in der SUNBEAM-Studie mit 1346 Patienten mit einer RMS bei einer durchschnittlichen Behandlungsdauer von 13,6 Monaten die jährliche Schubrate von 0,35 unter Interferon auf 0,18 unter 1 mg Ozanimod (p < 0,0001) und auf 0,24 unter 0,5 mg Ozanimod (p = 0,0013) gesenkt. Auch zeigte sich eine signifikante Reduktion der Anzahl neuer oder sich vergrößernder T2-Läsionen, nämlich um 48 % unter 1 mg Ozanimod und um 25 % unter 0,5 mg Ozanimod im Vergleich mit Interferon [2].

Ähnlich sind die Ergebnisse der RADIANCE-Studie (Teil B) bei 1320 Patienten mit einer RMS. Nach einer zweijährigen Therapie betrug die jährliche Schubrate unter 1 mg Ozanimod 0,17 im Vergleich zu 0,28 unter Interferon. Die Anzahl neuer oder sich vergrößernder T2-Läsionen wurde unter 1 mg Ozanimod im Vergleich mit Interferon um 42 % gesenkt. In dieser Studie wurde auch ein im Vergleich mit Interferon geringerer Verlust an Hirnvolumen, ein mit der Progredienz der MS-Erkrankung assoziierter Parameter, unter Ozanimod nachgewiesen [1].

Gutes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil

Die Inzidenz schwerwiegender Nebenwirkungen unter Ozanimod war ähnlich wie unter Interferon. Das Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil erwies sich als konsistent mit früheren Phase-II-Studien. Die häufigsten Nebenwirkungen unter Ozanimod waren Nasopharyngitis, Kopfschmerzen und Infektionen der oberen Atemwege. Ein AV-Block zweiten oder dritten Grades wurde nicht beobachtet. Auch traten keine schweren opportunistischen Infektionen auf.

Fazit

Ozanimod ist ein Agonist der S1P-Rezeptoren, der selektiv die Subtypen S1PR1 und S1PR5 moduliert. Die Substanz wirkt antiinflammatorisch, indem sie den Austritt der Lymphozyten aus den Lymphknoten hemmt. Die kürzlich erfolgte Zulassung basiert auf den Daten von zwei Phase-III-Studien, die zeigen, dass Ozanimod bei Patienten mit einer schubförmigen MS hinsichtlich der jährlichen Schubrate und der Inzidenz neu aufgetretener Läsionen im MRT dem Interferon statistisch signifikant überlegen ist und dies bei einer ähnlich niedrigen Rate an Nebenwirkungen. Somit ist Ozanimod ein neuer vielversprechender Wirkstoff bei dieser Erkrankung.

Quelle

Prof. Dr. med. Uta Meyding-Lamadé, Frankfurt a. M., Priv.-Doz. Dr. med. Mathias Buttmann, Bad Mergentheim; digitales Symposium „Ändert sich die Zugrichtung? Der frühe MS-Patient zwischen individualisierter Therapie und digitaler Kommunikation“, veranstaltet von Celgene im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 4. November 2020.

Literatur

1. Cohen JA, et al. Safety and efficacy of ozanomid versus interferon beta 1-a in relapsing multiple sclerosis (RADIANCE): a multicenter, randomized, 12-month, phase 3 trial. Lancet Neurol 2019;18:1021–33.

2. Comi G, et al. Safety and efficacy of ozanomid versus interferon beta 1-a in relapsing multiple sclerosis (SUNBEAM): a multicenter, randomized, 12-month, phase 3 trial. Lancet Neurol 2019;18:1009–20.

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Arzneimitteltherapie 2021; 39(01):49-57