Internationale Polycap-3-Studie

Prävention vaskulärer Ereignisse mit einer Polypille


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Die kombinierte Behandlung mit einer Polypille plus Acetylsalicylsäure führte in der TIPS-3-Studie zu einer geringeren Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen als Placebo bei Teilnehmern ohne Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die ein mittleres kardiovaskuläres Risiko hatten.

Es ist unstrittig, dass die Behandlung einer arteriellen Hypertonie und die Gabe von Statinen bei Patienten mit Fettstoffwechselstörungen das Risiko vaskulärer Erkrankungen reduziert. Die Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS) in der Primärprävention vaskulärer Ereignisse ist dagegen umstritten, nachdem in den letzten Jahren mehrere große Placebo-kontrollierte Studien keinen Nutzen der Acetylsalicylsäure nachweisen konnten.

Ein Problem bei der Therapie von Erkrankungen, die zu einem erhöhten Risiko für vaskuläre Erkrankungen führen, ist die Compliance. Diese hängt unter anderem davon ab, wie viele verschiedene Medikamente pro Tag eingenommen werden müssen. Deshalb wurde vorgeschlagen, in einer Polypille mehrere Antihypertensiva, ein Statin und gegebenenfalls Acetylsalicylsäure zu kombinieren.

Die Polypille hätte auch besondere Vorteile in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen, da sie sehr preiswert hergestellt werden kann.

Studiendesign

Die TIPS-3-Studie (The International Polycap Study 3) verwendete ein faktorielles 2 × 2 × 2-Design (Tab. 1). Die Teilnehmer hatten keine Herz-Kreislauf-Erkrankung, aber einen erhöhten INTERHEART-Risiko-Score.

Tab. 1. Studiendesign TIPS-3 [Yusuf S et al. 2020]

Indikation

Primärprävention bei Patienten mit erhöhtem INTERHEART-Risiko-Score

Studientyp/Design

Randomisiert, doppelblind, faktorielles 2 × 2 × 2-Design

Intervention

  • Polypille + ASS (n = 1429)
  • Polypille + Placebo (n = 1432)
  • ASS + Placebo (n = 1431)
  • Placebo + Placebo (n = 1421)

Sponsor

Wellcome Trust und andere

Studienregisternummer

NCT 01646437
(ClinicalTrials.gov)

ASS: Acetylsalicylsäure

Die Personen erhielten entweder eine Polypille, die 40 mg Simvastatin, 100 mg Atenolol, 25 mg Hydrochlorothiazid und 10 mg Ramipril enthielt, oder Placebo. Für den zweiten Vergleich wurden die Patienten zu Acetylsalicylsäure (75 mg) oder Placebo randomisiert. Die dritte Randomisierung diente dem Vergleich von Vitamin D und Placebo. Diesen analysierten die Autoren jedoch nicht in der vorliegenden Publikation. Daraus ergaben sich vier Gruppen (Tab. 1).

Der primäre Endpunkt für die Vergleiche Polypille vs. Placebo und Polypille + ASS vs. Placebo war die Kombination aus Tod durch kardiovaskuläre Ursachen, Myokardinfarkt, Schlaganfall, Herzstillstand, Herzinsuffizienz oder die Notwendigkeit einer Revaskularisierung durch Stenting oder eine Operation.

Für den Vergleich ASS vs. Placebo war der primäre Endpunkt Tod durch kardiovaskuläre Ursachen, Myokardinfarkt oder Schlaganfall.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 5713 Teilnehmer randomisiert. Die durchschnittliche Beobachtungszeit betrug 4,6 Jahre. Die Studienteilnehmer waren im Mittel 64 Jahre alt und 53 % waren Frauen. Die Teilnehmer kamen überwiegend aus Ländern mit mittleren und niedrigeren Einkommen. 83 % der Teilnehmer hatten eine arterielle Hypertonie und 10 % nahm bereits Antihypertensiva ein.

  • Die Polypille führte im Vergleich zu Placebo (Polypille vs. Placebo)zu einer Erniedrigung des LDL-Cholesterins um 19 mg/dl und des systolischen Blutdrucks um 5,8 mm Hg.
  • Der primäre Endpunkt trat bei 126 Teilnehmern auf (4,4 %), die die Polypille erhielten und bei 157 (5,5 %) in der Placebo-Gruppe (Hazard-Ratio [HR] 0,79; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,63–1,00).
  • Der primäre Endpunkt für den Acetylsalicylsäure-Vergleich (ASS vs. Placebo) trat bei 116 Teilnehmern (4,1 %) in der Acetylsalicylsäure-Gruppe auf und bei 134 (4,7 %) Teilnehmern in der Placebo-Gruppe (Hazard-Ratio [HR] 0,86; 95%-KI 0,67–1,10).
  • Der primäre Endpunkt für den Polypille-plus-Acetylsalicylsäure-Vergleich (Polypille + ASS vs. Placebo) trat bei 59 Teilnehmern (4,1 %) in der Gruppe mit kombinierter Behandlung auf und bei 83 (5,8 %) Teilnehmern in der Gruppe mit doppeltem Placebo (HR 0,69; 95%-KI 0,50–0,97).

Eine arterielle Hypotonie oder Schwindel war in den Gruppen, die die Polypille erhielten, höher als in ihren jeweiligen Placebo-Gruppen. Es gab keine Unterschiede bei den schwerwiegenden Blutungen.

Kommentar

Die randomisierte Studie zum Einsatz einer Polypille bei Personen mit erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, aber ohne manifesten Herzinfarkt oder Schlaganfall, zeigt eine Überlegenheit der Polypille gegenüber Placebo. Die Polypille enthielt drei Antihypertensiva in niedriger Dosierung. Die Begründung ist hier, dass die Verträglichkeit besser ist, wenn drei Antihypertensiva in niedriger Dosis gegeben werden als ein Antihypertensivum in hoher Dosis. Die Therapie mit den Antihypertensiva führte zu einer signifikanten Reduktion des systolischen Blutdrucks und die Therapie mit Simvastatin zu einem signifikanten Rückgang des LDL-Cholesterols. Die Zugabe von Acetylsalicylsäure erhöhte den therapeutischen Nutzen nicht. Bemerkenswert ist allerdings, dass die niedrige Dosis von 75 mg Acetylsalicylsäure das Blutungsrisiko nicht erhöhte. Die Polypille ist in Zukunft sicher eine wichtige therapeutische Option in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen, in denen es schwierig ist, mehrere Medikamente zeitgleich zu erhalten. Ob sich die Polypille auch in Europa durchsetzt, kann im Moment nicht beurteilt werden.

Quelle

Yusuf S, et al. Polypill with or without aspirin in persons without cardiovascular disease. N Engl J Med 2020; doi: 10.1056/NEJMoa2028220.

Arzneimitteltherapie 2021; 39(01):25-37