Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Diabetes mellitus führt zu Gefäßschäden. Im Rahmen der Mikroangiopathie kommt es zu Nierenschäden sowie Schäden im Bereich der Retina. Makrovaskuläre Komplikationen umfassen das akute Koronarsyndrom, ischämische Schlaganfälle und die periphere arterielle Verschlusskrankheit.
Durch die traditionellen Antidiabetika wie beispielsweise Metformin, Sulfonylharnstoffe, Dipeptidylpeptidase-4-Hemmer (DPP4) oder Insulin wurden in Placebo-kontrollierten Studien vorwiegend mikrovaskuläre Komplikationen des Diabetes mellitus reduziert. Die Therapie des Diabetes mellitus mit diesen Medikamentengruppen führte leider nicht zu einer Reduktion von Herzinfarkt, Schlaganfall oder vaskulärem Tod.
Die Substanzgruppe der Natriumglucose-Cotransporter-2-Hemmer (SGLT2) zeigte in einigen randomisierten Placebo-kontrollierten Studien auch eine signifikante Reduktion von schwerwiegenden vaskulären Ereignissen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und vaskulärem Tod. Die kanadische Arbeitsgruppe wollte untersuchen, ob sich diese Ergebnisse auch im klinischen Alltag reproduzieren lassen.
Studiendesign
Es handelt sich um eine retrospektive Analyse (Tab. 1) verschiedener Datenbanken in Kanada. Diese umfassten Datenbanken des Canadian Network for Observational Drug Effect Studies (CNODES), mit administrativen Gesundheitsdatenbanken aus sieben kanadischen Provinzen und dem Vereinigten Königreich in den Jahren 2013 bis 2018.
Tab. 1. Studiendesign [Filion et al. 2020]
Indikation |
Diabetes mellitus |
Studientyp/Design |
Retrospektive Kohortenstudie |
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Schwerwiegendes unerwünschtes kardiovaskuläre Ereignis |
Sponsor |
Canadian Network for Observational Drug Effect Studies |
Studienregisternummer |
NCT 03939624 |
Erfasst wurden 209 867 neue Anwender eines SGLT2-Inhibitors und 209 867 Anwender eines DPP-4-Inhibitors. Die mittlere Beobachtungszeit betrug 0,9 Jahre.
Der primäre Endpunkt waren schwerwiegende unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse (MACE = Myokardinfarkt, ischämischer Schlaganfall oder kardiovaskulärer Tod). Sekundäre Endpunkte waren die einzelnen Komponenten von MACE, Herzinsuffizienz und die Gesamtmortalität.
Ergebnisse
Die Patienten waren im Mittel 64 Jahre alt und 42 % waren Frauen. Der Diabetes mellitus bestand im Mittel seit 6,5 Jahren. Die häufigsten Begleiterkrankungen waren eine Fettstoffwechselstörung mit 81 % und eine arterielle Hypertonie mit 52 %.
28 % der Patienten behandelten den Diabetes mellitus mit Insulin, 88 % mit Metformin und 52 % mit Sulfonylharnstoffen. Im Vergleich zu DPP-4-Inhibitoren war die Anwendung von SGLT2-Inhibitoren mit einem verringerten Risiko für MACE assoziiert.
Inzidenzrate pro 1000 Personenjahre:
- MACE: 11,4 vs. 16,5; Hazard-Ratio [HR] 0,76; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,69–0,84)
- Myokardinfarkt (5,1 vs. 6,4; HR 0,82; 95%-KI 0,70–0,96)
- Kardiovaskulärer Tod (3,9 vs. 7,7; HR 0,60; 95%-KI 0,54–0,67)
- Herzinsuffizienz (3,1 vs. 7,7; HR 0,43; 95%-KI 0,37–0,51)
- Gesamtmortalität (8,7 vs. 17,3; HR 0,60; 95%-KI 0,54–0,67)
SGLT2-Inhibitoren hatten einen Nutzen in Bezug auf ischämische Schlaganfälle, der knapp die Signifikanzgrenze verfehlte (2,6 vs. 3,5; HR 0,85; 95%-KI 0,72–1,01).
Die Ergebnisse für den Endpunkt MACE waren unter Canagliflozin (0,79; 0,66 bis 0,94), Dapagliflozin (0,73; 0,63 bis 0,85) und Empagliflozin (0,77; 0,68 bis 0,87) ähnlich.
Kommentar
Diese große Registerstudie aus Kanada und dem Vereinigten Königreich legt nahe, dass die Substanzgruppe der SGLT2-Hemmer bei der Behandlung des Diabetes mellitus den DPP4-Hemmern bezüglich schwerwiegender vaskulärer Endpunkte überlegen ist. Die numerisch größten Unterschiede fanden sich für den kardiovaskulären Tod und die Herzinsuffizienz. Die Stärke der hier vorliegenden Studie ist die sehr große Patientenzahl. Die Patientencharakteristika und die Begleiterkrankungen waren ähnlich, da die Patienten nach dem Propensity-Matching-Prinzip ausgewählt wurden. Die Registeranalyse reproduziert auch die Ergebnisse großer Placebo-kontrollierter Studien. Eine Schwäche von Registerstudien ist, dass unentdeckte Einflussfaktoren eine Rolle spielen können. Im vorliegenden Fall ist ungeklärt, warum sich der behandelnde Arzt jeweils dazu entschlossen hat, einen Patienten mit Diabetes mellitus von seiner bisherigen Therapie auf einen SGLT2-Hemmer umzustellen. Die neuesten Leitlinien berücksichtigen bereits die hier vorgestellten Ergebnisse. Bei Patienten mit Diabetes mellitus und Herzinsuffizienz, aber auch bei Patienten mit Herzinsuffizienz ohne Diabetes mellitus werden jetzt SGLT2-Hemmer empfohlen.
Quelle
Filion KB, et al. Sodium glucose cotransporter 2 inhibitors and risk of major adverse cardiovascular events: multi-database retrospective cohort study. BMJ 2020;370:m3342.
Arzneimitteltherapie 2021; 39(01):25-37