Dr. Annette Junker, Wermelskirchen
Die Hämophilie B macht ungefähr ein Fünftel aller Hämophilie-Fälle aus. Ursache ist eine vererbte Mutation im Gen, das für die Produktion des Gerinnungsfaktors IX zuständig ist. Die unzureichende Bildung des Faktors führt zu unkontrollierten Blutungen. Eine Faktor-IX-Ersatztherapie kann zwar die Blutungen reduzieren, es bedarf aber ein- bis zweiwöchentlicher Infusionen, um ausreichende Faktor-IX-Level zu erhalten. Das ist nicht nur teuer, sondern stellt für die Patienten auch eine erhebliche Einschränkung ihrer Lebensqualität dar. Bei Gentherapien werden virale Partikel genutzt, um gentechnisch veränderte Zellen in der Leber zu produzieren. In diesem Fall war das Ziel, die fehlerhaften Faktor-IX-Gene des Hämophilie-Patienten zu ersetzen und ihn in die Lage zu versetzen, selbst wieder funktionstüchtigen Faktor IX zu produzieren.
Etranacogen Dezaparvovec ist eine experimentelle Gentherapie für Hämophilie B (HB), die einen Adeno-assoziierten Virus-Serotyp-5(AAV5)-Vektor enthält, der wiederum eine Codon-optimierte Padua-Variante des humanen Faktor-IX(FIX)-Gens mit einem leberspezifischen Promotor enthält. In der vorgeschalteten Phase-IIb-Studie hatte eine Einzeldosis Etranacogen Dezaparvovec bei drei Patienten bereits zu einer FIX-Aktivität von durchschnittlich 41 % geführt, die auch ein Jahr nach Dosisgabe bei diesen drei Patienten noch weiterbestand.
In den meisten bislang durchgeführten klinischen Gentherapiestudien waren Patienten mit bereits vorhandenen neutralisierenden Antikörpern (NAbs) gegen den Kapsid-Serotyp (AAV5) ausgeschlossen worden. Da es aber erste klinische Studien und Daten von Primaten gibt, die darauf hindeuten, dass die normalerweise vorherrschenden NAbs-Titer eine erfolgreiche Transduktion mit Etranacogen Dezaparvovec nicht ausschließen, wurde bei der HOPE-B-Studie anders vorgegangen.
Das HOPE-B-Projekt
Die Phase-III-Studie HOPE-B (Health Outcomes mit Padua-Gen-E-Bewertung bei Hämophilie B) wurde ins Leben gerufen, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Etranacogen Dezaparvovec bei Erwachsenen mit HB und einer breiten Palette von bereits bestehenden NAbs gegen AAV5 weiter zu bewerten. In die multinationale, offene, einarmige Phase-III-Studie wurden erwachsene Patienten mit schwerer oder mittelschwerer HB (FIX ≤ 2 %) eingeschlossen (Tab. 1). Alle Patienten erhielten vor der Studie eine routinemäßige FIX-Prophylaxe. Patienten wurden aufgrund bereits vorhandener Anti-AAV5-NAbs nicht ausgeschlossen.
Tab. 1. Studiendesign der HOPE-B-Studie
Erkrankung |
Hämophilie B (HB) |
Studienziel |
Wirksamkeit und Sicherheit von Etranacogen Dezaparvovec |
Studientyp |
Offen, einarmig, Phase III |
Patienten |
54 Erwachsene mit schwerer/mittelschwerer HB |
Intervention |
Etranacogen Dezaparvovec (AAV5-hFIXco-Padua; AMT-061), einmalige i. v. Infusion (2x 1013 Genkopien/kg) |
Primärer Endpunkt |
Faktor-IX-Aktivität |
Sponsor |
UniQure Biopharma B.V. |
Studienregisternummer |
NCT 03569891 |
In einer prospektiven Einleitungsphase (Lead-in) von mindestens sechs Monaten wurden bei den eingeschlossenen Patienten nur die Blutungen und der Faktor-Verbrauch überwacht. Dann erhielten sie eine einzige intravenöse Dosis von Etranacogen Dezaparvovec (zweimal 1013 Genkopien/kg). Es ist eine Nachbeobachtung von fünf Jahren geplant.
Von 75 gescreenten Patienten hatten 67 den Lead-in begonnen. 54 von ihnen (44 schwere, 10 mittelschwere HB) erhielten schließlich das Studienpräparat. Sie alle waren abhängig von einer Faktor-IX-Ersatztherapie. Bei 70 % von ihnen war es trotz der prophylaktischen Therapie in den ersten sechs Lead-in-Monaten zu Blutungsepisoden gekommen. 23 Patienten (42,6 %) hatten zu Studienbeginn Anti-AAV5-NAbs. Die im Dezember 2020 auf dem ASH vorgestellten Daten wurden nach einer Nachbeobachtung von 26 Wochen nach der Etranacogen-Dezaparvovec-Gentherapie generiert. Nach Gabe des Studienpräparats stieg die FIX-Aktivität bis zur Woche 26 rasch auf einen durchschnittlichen Wert von 37,2 % (durchschnittliche Veränderung im Vergleich zum Ausgangswert: 36,0 %; p < 0,0001). Bis zu einem Titer von 678,2 zeigte sich keine Korrelation von vorbestehenden Anti-AAV5-NAbs mit der FIX-Aktivität. Bei den meisten (52 von 54) Patienten konnte die Routineprophylaxe erfolgreich abgesetzt werden. Bei 39 von 54 Patienten (72 %) traten in den ersten 26 Wochen nach Gabe des Studienpräparats keine Blutungen auf; bei 15 Patienten kam es insgesamt zu 21 Blutungen. Der durchschnittliche jährliche FIX-Verbrauch (I. U./Jahr/Patient) betrug 292 304 (± 171 079) während der Einleitungsphase und verringerte sich auf 12 622 (± 36 466) nach 26 Wochen (96,0 % Reduktion, n = 54). Bei 37 von 54 (69 %) Patienten traten behandlungsbedingte Nebenwirkungen auf, von denen die meisten (82 %) mild waren. Es kam weder zu Todesfällen noch zu behandlungsbedingten, schwerwiegenden, unerwünschten Ereignissen. Die häufigsten behandlungsbedingten Nebenwirkungen (AE) waren Kopfschmerzen (13 %) und grippeähnliche Erkrankungen (13 %).
Fazit der Autoren
Die HOPE-B-Studie stellt den ersten Bericht einer Phase-III-Studie bei HB dar und schloss die bisher größte Gentherapie-Studienkohorte ein. Der erste koprimäre Endpunkt der Studie wurde erreicht: Nach einer Einzeldosis Etranacogen Dezaparvovec stieg die FIX-Aktivität ohne prophylaktische Immunsuppression bei Patienten mit schwerer/mittelgradiger HB bis Woche 26 in den leicht-normalen Bereich. Besonders herausgehoben wurde von den Autoren, dass diese Ergebnisse sich auch bei Patienten mit bereits vorhandenen Anti-AAV5-NAbs gezeigt hatten. Bei den meisten Patienten konnte die Prophylaxe eingestellt und Blutungen vermieden werden. Das Sicherheitsprofil stimmte mit früheren AAV5-Studien überein und war günstig.
Abkürzungsverzeichnis
AAV5 |
Adeno-assoziierter Virus-Serotyp-5 |
FIX |
Faktor-IX |
HB |
Hämophilie B |
I. U. |
Inernational Unit |
NAbs |
Neutralisierende Antikörper |
Quelle
Pipe SW, et al. First data from the phase 3 HOPE-B gene therapy trial: efficacy and safety of etranacogene dezaparvovec (AAV5-Padua hFIX variant; AMT-061) in adults with severe or moderate-severe hemophilia B treated irrespective of pre-existing anti-capsid neutralizing antibodies. ASH 2020, LBA 6.
Arzneimitteltherapie 2021; 39(03):83-97