Stefan Fischer, Stuttgart
Durch die Kombination von drei antiretroviralen Arzneistoffen aus mindestens zwei unterschiedlichen Klassen kann bei einem Großteil der Patienten, die mit HIV (human immunodeficiency virus) infiziert sind, die Viruslast langfristig unterdrückt werden. Es können sich allerdings schnell Resistenzen bilden, wenn das Regime nicht regelmäßig eingenommen wird. Auch eine unzureichende Wirksamkeit oder zu geringe Konzentration der Wirkstoffe zum Beispiel durch eine Medikamenteninteraktion kann zur Selektion resistenter Erreger führen. In der Europäischen Union leben 52 000 Menschen mit einer HIV-Infektion durch multiresistente Erreger. In solchen Fällen können die Ärzte die Dosis der Medikamente erhöhen oder seltenere Wirkstoffklassen wie Fusionsinhibitoren oder CCR5-Antagonisten einsetzen.
Etwa 5 bis 10 % dieser Menschen bleibt aktuell keine weitere Therapieoption und die Infektion schreitet ungehindert voran. Die weltweit führenden Todesursachen bei fortgeschrittener HIV-Erkrankung sind Tuberkulose, schwere bakterielle Infektionen, Kryptokokkose mit Meningitis, Toxoplasmose und Pneumocystis-jirovecii-Pneumonien.
Pharmakodynamik
Der Antikörper Ibalizumab (Trogarzo®) bindet an die CD4-Zellen des Immunsystems. Dadurch kann das HI-Virus nicht mehr in diese Zellen eindringen. Folglich verlangsamt sich die Reproduktion des Erregers (Abb. 1).

Abb. 1. Das Vorhandensein von Ibalizumab (blau) hat keinen Einfluss auf die Bindung des HIV-Glykoproteins gp120 an CD4. Durch sterische Hinderung unterbindet Ibalizumab jedoch die strukturellen Veränderungen, die gp120 für den Eintritt des Virus benötigt. [Mit freundlicher Genehmigung von Thera Technologies]
Pharmakokinetik
Die Kinetik von Ibalizumab zeigt nichtlineare Effekte. Die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (AUC) steigt zum Beispiel überproportional zur Dosis. Das ist typisch für die Pharmakokinetik von Antikörpern (Tab. 1).
Tab. 1. Pharmakokinetische Parameter von Ibalizumab
Parameter |
|
Zeit bis zur maximalen Serumkonzentration (tmax) nach 800 mg Ibalizumab |
10 min |
Verteilungsvolumen |
4,8 l |
Clearance nach 10 und 25 mg/kg KG |
0,5 bis 0,36 ml/h/kg |
Halbwertszeit nach 10 und 25 mg/kg KG |
37,8 bzw. 64,1 h |
KG: Körpergewicht
Klinische Ergebnisse
Der Wirksamkeitsnachweis von Ibalizumab basiert primär auf den Studien TMB-301 und TNX-355.03. Für die Bewertung der Sicherheit bezog die EMA noch weitere Patienten ein.
Studie TMB-301
An dieser einarmigen Phase-III-Studie nahmen 40 Patienten teil. Beim Erreger handelte es sich um multiresistentes HIV-1. Alle Patienten waren vorbehandelt und ihre Therapie hatte erst vor Kurzem versagt.
Die Studie war ein drei Phasen eingeteilt:
- Kontroll-Phase (Tag 0 bis 6): Die Teilnehmer erhielten keine oder weiterhin ihre unzureichend wirksame Therapie.
- Monotherapie-Phase (Tag 7 bis 14): Die Teilnehmer erhielten nur Ibalizumab (initial 2000 mg).
- Erhaltungsphase (Tag 14 bis Woche 25): Zusätzlich zu Ibalizumab (800 mg alle 2 Wochen) erhielten die Teilnehmer eine optimierte antivirale Hintergrundtherapie.
Der primäre Endpunkt war die Reduktion der Viruslast um ≥ 0,5 log10 (Reduktion auf ca. 30 %) am Ende der Monotherapie-Phase im Vergleich zum Ende der Kontroll-Phase.
Am Ende der Monotherapie-Phase erreichten 33/40 Patienten den primären Endpunkt. Am Ende der Kontroll-Phase war es 1/40 Patienten.
Am Ende der Erhaltungsphase (Woche 25) hatten 17/40 Probanden weniger als 50 HIV-1-RNA-Kopien/ml im Blut.
Studie TNX-355.03
Es handelte sich um eine randomisierte, doppelblinde Placebo-kontrollierte, dreiarmige Studie mit 82 Probanden. Auch bei diesen Teilnehmern hatte vor Kurzem das antivirale Regime versagt.
- Arm A: Ibalizumab 15 mg/kg KG i. v. alle 2 Wochen
- Arm B: Ibalizumab 10 mg/kg KG i. v. 1-mal/Woche für 9 Dosen, anschließend 10 mg/kg KG i. v. alle 2 Wochen
- Placebo-Arm
Zusätzlich erhielten alle Patienten eine optimierte antivirale Therapie. Ab Woche 16 war ein Wechsel der Therapie möglich.
In Woche 16 zeigte sich bei der Reduktion der Viruslast ein signifikanter Unterschied in den Verum-Armen im Vergleich zu Placebo.
- Arm A: 1,07 log10 Kopien/ml (Reduktion auf 8,5 %; p < 0,001)
- Arm B: 1,33 log10 Kopien/ml (Reduktion auf 4,6 %; p < 0,001)
- Placebo-Arm: 0,26 log10 Kopien/ml (Reduktion auf 55 %)
Daten zur Verträglichkeit
Die häufigsten unerwünschten Ereignisse unter Ibalizumab waren Ausschlag (9,2 %), Diarrhö (3,9 %), Schwindelgefühl (3,9 %), Kopfschmerzen (3,9 %), Übelkeit (3,9 %), Ermüdung (2,0 %) und Erbrechen (2,0 %).
Bei 2 von 153 untersuchten Personen trat unter Ibalizumab ein IRIS (immune reconstitution inflammatory syndrome) auf. Bei diesem kommt es durch den Anstieg der CD4-Zellzahl unter Therapie zu einer überschießenden Entzündungsreaktion. Die Symptome sind unspezifisch und beinhalten zum Beispiel Fieber. Als Folge kann eine Gewebeschädigung auftreten.
Eine Hypersensitivitätsreaktion trat bei 1 von 153 Behandelten auf.
Antikörper gegen Ibalizumab entwickelte ebenfalls 1 von 153 Personen. Dadurch kam es jedoch nicht zu unerwünschten Ereignissen. Die betroffene Person beendete die Ibalizumab-Therapie auf eigenen Wunsch nach 1,5 Jahren mit einer Viruslast unter 50 RNA-Kopien/ml.
Daten zu Wechselwirkungen
Es gibt keine Wechselwirkungsstudien mit Ibalizumab. Da es sich um einen Antikörper mit einer speziellen Zielstruktur handelt, geht man jedoch nicht von Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln aus.
Indikation, Dosierung und Handhabung
Wenn keine andere Möglichkeit besteht, die Viruslast ausreichend zu senken, ist Ibalizumab eine Option bei Infektionen mit multiresistentem HIV-1.
Nach einer Initialdosis von Ibalizumab erfolgt die Erhaltungsdosis:
- Initialdosis 2000 mg
- Erhaltungsdosis 800 mg alle 2 Wochen
Wird eine Erhaltungsdosis um drei Tage oder mehr verpasst, muss eine erneute Initialdosis erfolgen.
In den Studien wurde die Ibalizumab-Therapie in der Regel mit einem optimierten antiviralen Regime kombiniert. Allerdings wurde über kurze Zeiträume auch die Wirksamkeit einer Monotherapie gezeigt.
Alle Patienten müssen zumindest bei der ersten Infusion eine Stunde lang nach Infusionsende beobachtet werden. Tritt keine infusionsbezogene Reaktion auf, kann die Beobachtungszeit bei zukünftigen Infusionen auf 15 Minuten reduziert werden.
Spezielle Patientengruppen
Für den Einsatz bei älteren Patienten (> 65 Jahre) und Kindern gibt es keine ausreichende Daten zum Einsatz von Ibalizumab. Während der Behandlung soll eine effektive Verhütungsmethode eingesetzt werden.
Einschränkungen der Nieren- und Leberfunktion wirken sich wahrscheinlich nicht auf die Pharmakokinetik von Ibalizumab aus. Es wurden aber keine speziellen Studien dazu durchgeführt.
Resistenz
Es kann zu Resistenzen gegenüber Ibalizumab kommen. Verantwortlich ist wahrscheinlich die Mutation einer bestimmten Gensequenz, die für die Kodierung der Virushülle verantwortlich ist.
Die Resistenz ist in diesem Fall wahrscheinlich auf Ibalizumab beschränkt. Kreuzresistenzen mit anderen Wirkstoffgruppen sind eher unwahrscheinlich.
Kosten der Therapie
Eine Packung mit 2 × 200 mg Ibalizumab hat einen Apothekenverkaufspreis von 2508,78 Euro. Die Erhaltungsdosis kostet somit 5017,56 Euro und die monatlichen Kosten betragen 10 035,12 Euro [Lauer-Taxe Stand 24.02.21].
G-BA-Beschluss
Für Erwachsene mit einer multiresistenten HIV-1-Infektion, bei denen kein anderes supprimierendes, antivirales Regime zusammengestellt werden kann, ist der Zusatznutzen von Ibalizumab nicht belegt.
Lesen Sie die Begründung im G-BA-Beschluss Ibalizumab.
Interessenkonflikterklärung
sf ist Mitarbeiter der DAV Mediengruppe.
Key words: HIV, ibalizumab, resistance
Quelle
European Medicines Agency (EMA). Trogarzo: EPAR – Public assessment report und Product information. https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/trogarzo (Zugriff am 12.10.20).
Dr. rer. nat. Stefan Fischer, Birkenwaldstraße 44, 70191 Stuttgart, E-Mail: sfischer@dav-medien.de
Ibalizumab: new option for HIV and multiple resistance
The monoclonal antibody ibalizumab prevents the HI-virus from entering human cd4 positive cells. Small studies showed that ibalizumab, in combination with background therapy, reduced viral load in patients who suffer from multiple viral resistances. The label is limited to this small population.
Arzneimitteltherapie 2021; 39(04):118-120