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EditorialDr. Maja M. Christ, Stuttgart

„Auf einem Bein kann man nicht stehen“

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ÜbersichtLaurent Maximilian Willems, Felix Rosenow und Adam Strzelczyk, Frankfurt am Main*

Rezente Entwicklungen in der Therapie des Status epilepticus

Update zur Therapie des Status epilepticus

Der Status epilepticus (SE) gehört zu den wichtigsten neurologischen Notfällen im klinischen Alltag und stellt eine unmittelbar behandlungsbedürftige, lebensbedrohliche Erkrankung dar. Die Therapie orientiert sich hierbei an der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), die verschiedene Stufen des SE definiert und für jede Stufe unterschiedliche evidenzbasierte medikamentöse Behandlungsoptionen vorhält. Für die prä- und intrahospitale Akuttherapie des SE stehen zahlreiche Benzodiazepine, Antikonvulsiva und Anästhetika zur Verfügung, die sich in ihren Wirkungs- und Nebenwirkungsprofilen zum Teil deutlich unterscheiden und deren Einsatz daher individuell abgewogen werden muss. Eine zügige und adäquat dosierte Therapie ist hierbei von besonderer Relevanz, um ein gutes funktionelles Outcome zu erreichen und der insbesondere im Alter hohen Mortalität des SE entgegenzuwirken. Ziel dieses Übersichtsartikels ist es, die Therapie des SE nach Leitlinie darzustellen und hierbei insbesondere auf Entwicklungen aus der jüngeren Vergangenheit einzugehen.
Arzneimitteltherapie 2022;40:346–51.

FlaggeEnglish abstract

Recent developments in the therapy of status epilepticus

Status epilepticus (SE) is one of the most important neurological emergencies and represents a life-threatening condition requiring immediate and adequate treatment. SE therapy is based on the guidelines of the German Society of Neurology (DGN), which define different stages of SE and suggest different drug treatment options for each stage. Beyond the 2020 guideline, data from the ESETT study demonstrates the importance of an adequate dosage of benzodiazepines during initial SE therapy as well as a good efficacy of levetiracetam in benzodiazepine-refractory SE, which can be considered equivalent to valproate and fosphenytoin. In addition, promising efficacy and safety data exist for the use of i. v. brivaracetam. In refractory SE (RSE) and super-refractory SE (SRSE), a shorter, more aggressive therapeutic coma appears to be potentially more effective than prolonged EEG-guided burst suppression. With ketamine another effective and safe option for therapy escalation is available. In SRSE or in patients with treatment limitations with respect to intensive care therapy even as early as RSE, there is robust but low-level evidence for the use of oral anticonvulsants such as brivaracetam, oxcarbazepine, perampanel, stiripentol, topiramate, and zonisamide. The use of steroid pulses or plasmapheresis/immunoadsorption should be reserved for patients with probable autoimmune etiology of SE. There is no robust evidence of therapeutic benefit for the use of neurosteroids such as allopregnanolone in RSE and SRSE after a randomized, placebo-controlled trial. Especially before and during intensive care measures, the presumed patient will as well as the patient’s previous medical condition should be critically evaluated due to the per se high mortality of RSE and SRSE.

Key words: Epilepsy, seizure, antiseizure medication, EEG

Seite 353 - 356
Arzneimittel in der DiskussionLarissa Tetsch, Maisach

Inebilizumab

Spezifische Therapie der Neuromyelitis-optica-Spektrumerkrankung

Die Neuromyelitis-optica-Spektrumerkrankung (NMOSD) ist eine seltene Autoimmunerkrankung des Zentralnervensystems. Leitsymptome sind wiederkehrende Entzündungen des Sehnervs und des Rückenmarks, seltener sind der Hirnstamm und Bereiche des Vorderhirns betroffen. Die Krankheit verläuft in Schüben und geht mit zunehmender Behinderung, insbesondere Erblindung und Lähmungserscheinungen, einher. Bei einem Großteil der Patienten finden sich pathogene Autoantikörper gegen Aquaporin-4, den häufigsten Wasserkanal im Zentralnervensystem. Untersuchungen zufolge wird die NMOSD hauptsächlich durch B-Zellen vermittelt. Seit 2020 steht mit dem B-Zell-depletierenden Antikörper Inebilizumab in den USA eine spezifische Therapie für die NMOSD zur Verfügung. Im Mai 2022 erfolgte die Zulassung in Europa für Inebilizumab als Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen, für Anti-Aquaporin-4-Immunglobulin-G (AQP4-IgG) seropositiven Patienten mit NMOSD. In der Zulassungsstudie N-MOmentum reduzierten sich unter Inebilizumab das Risiko für einen Krankheitsschub und der Anteil der Patienten mit einer Zunahme der Behinderung signifikant. Als häufigste Nebenwirkungen der Behandlung traten infusionsbedingte Reaktionen, Infektionen sowie Rücken- und Gelenkschmerzen auf.
Arzneimitteltherapie 2022;40:353–6.

FlaggeEnglish abstract

Inebilizumab

Neuromyelitis optica spectrum disorder (NMOSD) is a rare autoimmune inflammatory disease of the central nervous system. It is characterized by recurrent optic neuritis and myelitis, whereas involvement of brain stem and parts of the forebrain are less common. Due to incomplete recovery after relapses, NMOSD patients are confronted with increasing impairment – especially blindness and paralysis. A majority of patients exhibits pathogenic autoantibodies against aquaporin 4, the most common water channel of the central nervous system. Studies indicate that NMOSD is mainly mediated by B-cells. Since June 2020, the B-cell-depleting antibody inebilizumab is approved by the FDA as specific treatment of NMOSD. In May 2022, inebilizumab was also approved in the European Union as monotherapy for the treatment of adult patients with NMOSD that are seropositive for anti-aquaporin-4-immunglobulin G (AQP4-IgG). In the clinical study which led to approval, N-MOmentum, inebilizumab significantly reduced the risk of a relapse and the percentage of patients that encountered an increase of impairment. The most frequent adverse events were infusion-related reactions, infections as well as arthralgia and back pain.

Key words: aquaporin 4; inebilizumab; neuromyelitis optica spectrum disorder

Seite 357 - 358
Arzneimittel in der DiskussionTania Kümpfel, München

Inebilizumab

Aus Expertensicht

Arzneimitteltherapie 2022;40:357–8.

Seite 359 - 360
Klinische StudieProf. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Diabetische Polyneuropathie

Kombinationstherapien mit Pregabalin und einem Antidepressivum im Cross-over-Vergleich

Mit einem Kommentar des Autors
In einer randomisierten, doppelblinden Cross-over-Studie aus Großbritannien bei Patienten mit schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie waren Pregabalin, Amitriptylin und Duloxetin zur Schmerzreduktion wirksam. Auch die Kombinationen von Amitriptylin mit Pregabalin, Pregabalin mit Amitriptylin und Duloxetin mit Pregabalin waren jeweils wirksam. Die Kombinationstherapie wirkte zudem bei Patienten, bei denen die Monotherapie nicht ausreichte. Es handelt sich um die größte und längste jemals durchgeführte Cross-over-Studie zu neuropathischen Schmerzen. Die Kombinationsbehandlung wurde gut vertragen und führte zu einer verbesserten Schmerzlinderung bei Patienten, deren Schmerzkontrolle mit einer Monotherapie nicht optimal war.

Seite 361 - 373
Referiert & kommentiertProf. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

Parkinson-Krankheit

Antikörper gegen aggregiertes Alpha-Synuclein beim frühen M. Parkinson nicht wirksam

Mit einem Kommentar des Autors
Alpha-Synuclein-Aggregate im Gehirn sind ein wichtiges pathophysiologisches Agens bei Morbus Parkinson. Daher wurden Antikörper gegen Alpha-Synuclein zur Behandlung des Morbus Parkinson entwickelt. Zwei randomisierte, Placebo-kontrollierte Phase-II-Studien mit Cipanemab und Prasinezumab zeigten allerdings keine Wirksamkeit. Damit gibt es weiterhin keine kausale Therapie des M. Parkinson.

Seite 361 - 373
Referiert & kommentiertSonja Zikeli, Stuttgart

Rheumatoide Arthritis

Interleukin-6-Inhibitor Olokizumab ist Adalimumab nicht unterlegen

Ein neuer Interleukin-6-Blocker zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis hat in einer Phase-III-Studie gezeigt, dass er in Kombination mit dem Folsäure-Antagonisten Methotrexat (MTX) mindestens genauso wirksam ist wie die etablierte Standardtherapie, bestehend aus TNF-Inhibitoren wie Adalimumab plus MTX.

Seite 361 - 373
Referiert & kommentiertProf. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Herzinsuffizienz

Metaanalyse belegt Nutzen von SGLT-2-Inhibitoren

Mit einem Kommentar des Autors
In einer Metaanalyse von fünf großen randomisierten Studien reduzierten SGLT-2-Inhibitoren das Risiko von kardiovaskulärem Tod und Hospitalisierungen aufgrund einer Herzinsuffizienz. Dies galt für ein breites Spektrum von Patienten mit Herzinsuffizienz. SGLT-2-Inhibitoren sollten daher als Basistherapie bei Herzinsuffizienz, unabhängig von der Ejektionsfraktion oder dem Behandlungsumfeld, gegeben werden.

Seite 361 - 373
Referiert & kommentiertProf. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Vorhofflimmern bei rheumatischer Herzerkrankung

Kein Vorteil für Rivaroxaban bezüglich embolischer Ereignisse

Mit einem Kommentar des Autors
In einer randomisierten Studie, an der 4531 Patienten mit Vorhofflimmern im Rahmen einer rheumatischen Herzerkrankung teilnahmen, führte die Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten zu einer niedrigeren Rate kardiovaskulärer Ereignisse oder Mortalität als eine Rivaroxaban-Therapie, ohne dass eine höhere Blutungsrate zu verzeichnen war.

Seite 361 - 373
Referiert & kommentiertDr. Petra Jungmayr, Esslingen

Chronisch-entzündliche Hauterkrankungen

Risikofaktor für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen?

Nicht selten treten chronisch-entzündliche Erkrankungen des Darms und der Haut gemeinsam auf. Bei welchen Hauterkrankungen dies der Fall ist, wurde in einer US-amerikanischen Kohortenstudie untersucht. Eine Hidradenitis suppurativa ging mit einem beinahe verdreifachten Risiko für eine Morbus-Crohn-Erkrankung einher.

Seite 361 - 373
Referiert & kommentiertProf. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

Hypercholesterinämie

Metaanalyse belegt wenig Muskelsymptome durch Statintherapie

Mit einem Kommentar des Autors
In einer großen Metaanalyse mit mehr als 154 000 Patienten verursachte eine Therapie mit Statinen nur selten und dann meist nur leichte Muskelschmerzen. Die meisten (> 90 %) aller Berichte über Muskelbeschwerden waren nicht auf das Statin zurückzuführen. Das Risiko von Statin-induzierten Muskelbeschwerden ist viel geringer, als die bekannten Vorteile in der Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen.

Seite 361 - 373
Referiert & kommentiertDr. Petra Jungmayr, Esslingen

Screening auf spinale Muskelatrophie

Frühe Diagnose wirkt sich günstig auf den Krankheitsverlauf aus

Seit dem 1. Oktober 2021 ist in Deutschland die Früherkennungsuntersuchung auf eine spinale Muskelatrophie (SMA) Teil des Neugeborenen-Screenings. Andere Länder wie Taiwan oder einzelne Staaten der USA haben das Screening auf SMA bereits seit mehreren Jahren implementiert. Im Bundesstaat New York startete 2018 ein Pilotprojekt, für das nach dreijähriger Dauer Ergebnisse vorliegen.

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Referiert & kommentiertDr. Susanne Heinzl, Reutlingen

Fortgeschrittenes Mammakarzinom

Stark vorbehandelte Frauen profitieren von Sacituzumab Govitecan

Bei Frauen mit stark vorbehandeltem Hormonrezeptor-positivem, HER2-negativem Mammakarzinom verlängerte das Antikörper-Arzneistoff-Konjugat Sacituzumab Govitecan im Vergleich zu einer Chemotherapie nach Wahl des Behandlers das progressionsfreie Überleben von 4,0 auf 5,5 Monate (Hazard-Ratio 0,66). Dieses Ergebnis der internationalen randomisierten Phase-III-Studie TROPiCS-02 mit 543 Frauen wurde beim 2022 ASCO Annual Meeting Anfang Juni 2022 in Chicago vorgestellt.

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PressekonferenzDr. Alexander Kretzschmar, München

Migräneprophylaxe mit Eptinezumab

Anti-CGRP-Therapie jetzt auch als Infusion

Mit Eptinezumab ist jetzt erstmals ein intravenös verabreichter monoklonaler Antikörper gegen Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) verfügbar. Auf der 8. Dreiländertagung Kopfschmerz sowie der Jahrestagung der European Academy of Neurology (EAN) wurden die vorliegenden Daten diskutiert. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei der guten Wirksamkeit und Verträglichkeit auch bei Patienten mit der Doppeldiagnose einer chronischen Migräne und eines Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch.

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PressekonferenzDr. Peter Stiefelhagen, Starnberg

Schwere Hämophilie A

Gentherapie eröffnet Chance auf Heilung

Die FVIII-Substitution bei der Hämophilie A ist mit einer Reihe von Problemen assoziiert. Die Entwicklung einer Gentherapie, wie sie jetzt erstmals zugelassen wurde, stellt daher einen großen Fortschritt dar. Die Ergebnisse der Zulassungsstudien wurden im Rahmen eines von der Firma Biomarin digital veranstalteten Pressegesprächs präsentiert.