Innovative Studiendesigns für die Untersuchung neuer medikamentöser Therapien


Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

Professor Dr. med. Hans-Christoph Diener

[Foto: privat]

Traditionell wurden Studien zur Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit neuer Substanzen bei bestimmten Indikationen als prospektive, randomisierte und Placebo-kontrollierte Studien durchgeführt: zunächst in aller Regel kleinere Studien zur Dosisfindung und zur Definition der minimal wirksamen und der maximal tolerierten Dosis eines Arzneimittels, gefolgt von großen Phase-III-Studien. Wenn nun mehrere Kandidaten für eine neue Therapie zur Verfügung standen, wurden diese in aller Regel in konsekutiven Studien untersucht. Dies ist sehr teuer und sehr zeitaufwendig.

Mit dem Beginn der COVID-19-Pandemie wurde sehr schnell klar, dass sich dieser Ansatz nicht eignet, um zügig neue Therapien für eine schwere lebensbedrohliche Erkrankung zu entwickeln. Daher wurden in Großbritannien im Rahmen des RECOVERY-Programms sogenannte Plattformstudien initiiert [4]. In diesen Plattformstudien können gleichzeitig mehrere medikamentöse Therapieansätze parallel untersucht werden [1]. Dazu werden einheitliche Studiendesigns entwickelt mit weitgehend übereinstimmenden Einschlusskriterien, primären und sekundären Endpunkten und statistischen Auswertungen. Die Einschlusskriterien können unterschiedlich sein und beispielsweise im Fall von COVID-19 Therapien im ambulanten Setting und im Krankenhaus getrennt untersuchen. Der Vorteil dieser Plattformstudien ist zudem, dass eine Placebo-Gruppe, die in einer Population gewonnen wurde, ebenfalls für die anderen aktiven Behandlungsarme als Vergleichsgruppe verwendet werden kann. Das Plattformdesign erlaubt nicht nur, parallel neue Therapien zu validieren, sondern kann auch potenzielle Wirkungen von Arzneimittelkombinationen belegen. Außerdem können Plattformstudien frühzeitig abgebrochen werden, wenn sich abzeichnet, dass die neue Therapie Placebo nicht überlegen ist. Im Rahmen des RECOVERY-Programms wurden so sehr schnell vier wirksame Therapien für COVID-19 entwickelt, die die Mortalität senkten, während sich sechs andere Therapien als unwirksam herausstellten. Eine Sterblichkeitsreduktion wurde für die Gabe von monoklonalen Antikörpern, JAK-Inhibitoren, Glucocorticoiden, Tocilizumab und einer therapeutischen Antikoagulation für spezifische Patientengruppen nachgewiesen.

Plattformstudien gibt es auch im Rahmen der Behandlung der Pneumonie (REMAP-CAP) [2] und interstitieller Lungenerkrankungen (REMAPL-ILD). Ein aktuelles Beispiel sind Studien zur amyotrophen Lateralsklerose, bei denen ebenfalls mehrere Substanzen parallel untersucht werden [3, 5–8].

Eine weitere neue Entwicklung für die zukünftige Untersuchung medikamentöser Therapien ist die sogenannte Reverse Pharmacology. Hier werden große, meist nationale Datenbanken benutzt und eine Population, die mit einem bestimmten Arzneimittel behandelt wird, mit einer Population verglichen, die dieses Arzneimittel nicht erhält. Dann werden alle Begleiterkrankungen und der Verlauf der Begleiterkrankungen untersucht. Auf diese Weise können Assoziationen gefunden werden, bei denen das Arzneimittel bestimmte andere Erkrankungen positiv beeinflusst oder bei bestehenden anderen Erkrankungen zu gehäuften unerwünschten Arzneimittelwirkungen führt. Anhand dieser Assoziationen kann dann entschieden werden, ob es sich lohnt, dezidierte Placebo-kontrollierte Studien in diesen Indikationen durchzuführen, für die diese Arzneimittel ursprünglich nicht entwickelt wurden.

Ein gutes Beispiel ist hier die Analyse von Wirkungen und unerwünschten Arzneimittelwirkungen von GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) im Vergleich zu anderen Antidiabetika oder bei Menschen, die keine antidiabetische Therapie erhalten, bei mehr als 2 Millionen Individuen [9]. Auf diese Weise wurden viele positive Assoziationen mit der GLP-1-RA-Therapie entdeckt wie Drogenabhängigkeit, Psychosen, epileptische Anfälle, Demenz, Morbus Alzheimer, Herzinsuffizienz, Schlaganfall sowie Infektionen (s.S. 119 und Kasten „Es stand in der AMT“). Negative Assoziationen (Nebenwirkungen) fanden sich gastrointestinal, bei der Blutdruckregulation, Synkopen, Arthritis, Nephrolithiasis, Nierenschäden, Pankreatitis u. a. Diese Erkenntnisse könnten dazu dienen, Population zu definieren, bei denen GLP-1-RA in Zukunft untersucht werden können, und gleichzeitig Patienten auszuschließen, bei denen offenbar ein erhöhtes Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen besteht.

Bedingt durch die Restriktionen im Gesundheitssystem und die Notwendigkeit, Kosten zu sparen, werden innovative Konzepte zur Durchführung klinischer Studien in naher Zukunft eine hohe Bedeutung gewinnen.

Liebe Leserin, lieber Leser, dieser Artikel ist nur für Abonnenten der AMT zugänglich.

Sie haben noch keine Zugangsdaten, sind aber AMT-Abonnent?

Registrieren Sie sich jetzt:
Nach erfolgreicher Registrierung können Sie sich mit Ihrer E-Mail Adresse und Ihrem gewählten Passwort anmelden.

Jetzt registrieren