EditorialProf. Dr. med. Clemens Unger, Freiburg

Individualisierung in der Krebstherapie

Vision oder bereits Realität?

ÜbersichtFlorian Custodis, Jan-C. Reil, Ulrich Laufs und Michael Böhm, Homburg/Saar

Herzfrequenzsenkung bei Herzpatienten – die Rolle von Ivabradin

Die Herzfrequenz basiert auf der spontanen Aktivität des Sinusknotens und wird entscheidend durch den Schrittmacherstrom I(f) bestimmt. Durch den I(f)-Kanal-Inhibitor Ivabradin (Procoralan®) kann die Herzfrequenz ohne Einfluss auf die kardiale Kontraktionskraft und ohne Blutdrucksenkung reduziert werden. Die Herzfrequenz stellt einen unabhängigen kardiovaskulären Risikofaktor und – vor allem bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) – ein potenzielles therapeutisches Ziel dar. Klinische und experimentelle Arbeiten weisen darauf hin, dass die Herzfrequenz selbst, ohne andere Effekte autonomer Regulationsvorgänge, direkte Wirkungen auf strukturelle und funktionelle Eigenschaften des Herz-Kreislauf-Systems, vor allem auf das Gefäßsystem, ausübt. Tierexperimentelle Untersuchungen zeigen einen direkten Zusammenhang zwischen der Herzfrequenz und dem Ausmaß atherosklerotischer Gefäßläsionen. In verschiedenen klinischen Studien konnten eine antiischämische und antianginöse Wirkung von Ivabradin sowie eine Gleichwertigkeit von Ivabradin bei der symptomatischen Behandlung der stabilen KHK im Vergleich zu Betablockern und Calciumantagonisten gezeigt werden. Eine Kombinationsbehandlung mit Ivabradin und Betablockern ist sicher und bietet gegenüber einer reinen Beta-Rezeptorenblockade einen additiven symptomatischen Vorteil. Die Ergebnisse der BEAUTIFUL-Studie zeigen, dass eine Herzfrequenz von ≥70 Schlägen pro Minute bei Patienten mit einer ischämischen Kardiomyopathie das Risiko für koronare Ereignisse erhöht. In der Gesamtstudienpopulation hatte Ivabradin keinen Effekt auf den primären klinischen Endpunkt. In der Subgruppe der KHK-Patienten mit einer Ruheherzfrequenz von ≥70 Schlägen pro Minute verbesserte Ivabradin jedoch die Prognose durch Reduktion der Klinikaufnahmen aufgrund eines Myokardinfarkts sowie der erforderlichen Revaskularisierungsmaßnahmen. Die Daten der SHIFT-Studie belegen den Stellenwert der Herzfrequenz als Risikofaktor und Therapieziel für Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz. Zusätzlich zu einer leitliniengerechten medikamentösen Therapie reduzierte Ivabradin bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz die Häufigkeit von Klinikeinweisungen aufgrund einer klinischen Verschlechterung und durch Herzinsuffizienz bedingter Todesfälle.
Arzneimitteltherapie 2010;28:294–304.

FlaggeEnglish abstract

Heart rate reduction in cardiovascular disease – the role of ivabradine

The pacemaker current I(f) plays a central role in determining spontaneous activity of the sinus node. Ivabradine, an inhibitor of the I(f) channel, reduces heart rate without any effect on cardiac contractility and without lowering blood pressure. Resting heart rate is associated with cardiovascular morbidity and mortality in the general population and in patients with cardiovascular disease and hence represents an independent cardiovascular risk factor. Heart rate control is an important therapeutic strategy in coronary artery disease. Clinical and experimental evidence suggests that sustained elevation of heart rate – independent of the underlying trigger – plays a causal role in the pathogenesis of vascular disease. Clinical studies demonstrated antiischemic and antianginal properties of ivabradine and proved equivalent effects in comparison to standard treatment of stable coronary artery disease. The combination of ivabradine and a beta-blocker is safe and adds symptomatic benefits on top of beta-blockade. The results of the BEAUTIFUL trial show that patients with ischemic heart disease and a heart rate above 70 bpm exhibit an adverse prognosis concerning coronary events, however the trial showed no effect with regard to the primary endpoint. Heart rate reduction with ivabradine added to the standard pharmacologic treatment improves the prognosis of CAD patients with reduced left ventricular function and a resting heart rate of more than 70 bpm. Results of the SHIFT trial support the importance of heart rate reduction with ivabradine for improvement of clinical outcomes in heart failure and confirm the role of heart rate as a risk factor for patients with severe left ventricular dysfunction.

Key words: Heart rate, I(f) channel inhibition, ivabradine, coronary artery disease, heart failure


ÜbersichtMarc-Steffen Raab und Hartmut Goldschmidt, Heidelberg

Aktuelle Entwicklungen in der Therapie des multiplen Myeloms

Die Wechselwirkungen zwischen den malignen Plasmazellen (Myelomzellen) und der Knochenmarkumgebung spielen eine wesentliche Rolle bei der Pathogenese des multiplen Myeloms. Diese Erkenntnis hat zur Entwicklung neuer Behandlungsoptionen beigetragen. Die für die Therapie des multiplen Myeloms in den letzten Jahren zugelassenen Substanzen Thalidomid, Bortezomib und Lenalidomid beeinflussen sowohl die Myelomzellen als auch die Knochenmarkumgebung. In ersten Studien konnte die Wirksamkeit der drei Substanzen beim rezidivierten/refraktären multiplen Myelom belegt werden. Inzwischen zeigte sich, dass sich durch die drei Wirkstoffe auch in der Primärtherapie eine verbesserte Ansprechrate und ein längeres progressionsfreies sowie Gesamtüberleben erreichen lassen. Die vielversprechenden neuen Therapieoptionen, sowohl die Tumorzellen als auch ihre Mikroumgebung anzugreifen, lassen zukünftig noch bessere Behandlungsergebnisse erwarten – nicht nur beim multiplen Myelom, sondern möglicherweise auch bei anderen hämatologischen Neoplasien und soliden Tumoren.
Arzneimitteltherapie 2010;28:305–16.

FlaggeEnglish abstract

Recent advances in the treatment of multiple myeloma

There is mounting evidence that an intimate relationship between malignant plasma cells and the niches of their bone marrow microenvironment plays a pivotal role in myeloma pathogenesis. This knowledge has already transformed the treatment options for myeloma patients. Thalidomide, bortezomib, and lenalidomide, all recently approved for the treatment of myeloma, represent prototypic agents targeting both myeloma cells and the bone marrow milieu. While benefit was first demonstrated in relapsed/refractory disease, improved overall rate and extent of response, as well as progression free and overall survival, can be achieved when they are included in front-line regimens. This new treatment paradigm targeting both the tumor and its microenvironment has great promise to improve patient outcome not only in multiple myeloma, but also in other hematologic malignancies and solid tumors.

Key words: Multiple myeloma, relapsed/refractory disease, stem cell transplantation, induction therapy, maintenance therapy


Klinische StudieDr. Susanne Heinzl, Reutlingen

Chronische myeloische Leukämie

Dasatinib in der Erstlinientherapie wirksamer als Imatinib

Beim direkten Vergleich von Dasatinib und Imatinib in der Erstlinientherapie von Patienten mit chronischer myeloischer Leukämie (CML) in der chronischen Phase führte Dasatinib schneller und häufiger zum kompletten zytogenetischen sowie zum guten molekularen Ansprechen. Bei weniger Patienten der Dasatinib-Gruppe kam es zur Progression der Erkrankung.

Klinische StudieDr. Susanne Heinzl, Reutlingen

PRIMA-Studie

Rituximab als Erhaltungstherapie bei Patienten mit follikulärem Lymphom

Bei Patienten mit follikulärem Lymphom wird durch die kontinuierliche Gabe von Rituximab (MabThera®) die Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv um die Hälfte verringert. Dies ergab die Phase-III-Studie PRIMA (Primary rituximab and maintenance), in die 1217 Patienten mit follikulärem Lymphom aufgenommen worden waren.

Referiert & kommentiertProf. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Amyotrophe Lateralsklerose

Keine Besserung durch Lithium-Zusatztherapie

In einer doppelblinden Plazebo-kontrollierten Studie ergab sich keine Wirksamkeit von Lithium in Kombination mit Riluzol bei Patienten mit amyotropher Lateralsklerose.

Referiert & kommentiertDr. Susanne Heinzl, Reutlingen

Ipilimumab

Fortschritt für Patienten mit malignem Melanom?

Vorbehandelte Patienten mit fortgeschrittenem malignem Melanom, die mit dem monoklonalen Antikörper Ipilimumab ohne oder mit gp100-Vakzine behandelt wurden, lebten signifikant länger als nur mit der Vakzine behandelte Patienten. Dies ergab eine multizentrische, internationale Phase-III-Studie mit 676 Patienten.

Referiert & kommentiertDr. Susanne Heinzl, Reutlingen

Kopf-Hals-Tumoren

Ermutigende Ergebnisse mit irreversiblem Tyrosinkinasehemmer BIBW 2992

Erstmals konnten mit einem Tyrosinkinasehemmer, nämlich BIBW 2992, bei Patienten mit metastasierten Kopf-Hals-Tumoren im Trend bessere Wirkungen als mit Cetuximab gesehen werden. Dies belegen die vorläufigen Ergebnisse einer noch laufenden Phase-II-Studie.

Referiert & kommentiertDr. Barbara Ecker-Schlipf, Holzgerlingen

Morbus Pompe

Behandlungserfolge mit Alglucosidase alfa bei der späten Krankheitsform

Bei Patienten mit einer späten Form der Pompe-Krankheit konnte in einer randomisierten Doppelblindstudie eine Behandlung mit Alglucosidase alfa über einen Zeitraum von 18 Monaten die Gehfähigkeit verbessern und die Lungenfunktion stabilisieren.

Referiert & kommentiertDr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg

NSCLC in operablen Stadien

Adjuvante Chemotherapie verbessert 5-Jahres-Überleben

Patienten mit operablem nichtkleinzelligem Lungenkarzinom profitieren von einer adjuvanten Chemotherapie beziehungsweise von einer adjuvanten Chemo- plus Strahlentherapie. Dies ergaben zwei Metaanalysen mit Patientendaten aus Studien seit 1965.

Referiert & kommentiertDr. Susanne Heinzl, Reutlingen

Fortgeschrittenes oder metastasiertes Pankreaskarzinom

FOLFIRINOX verlängert Überleben auf über elf Monate

Mit Fluorouracil/Leucovorin, Irinotecan und Oxaliplatin (FOLFIRINOX) in der Erstlinientherapie konnte in einer französischen Phase-III-Studie eine unerwartet gute Verlängerung des Gesamtüberlebens von Patienten mit metastasiertem Pankreaskarzinom erreicht werden. Die hohe Toxizität der Kombination erfordert allerdings eine sehr sorgfältige Auswahl und eine intensive Betreuung der Patienten.

Referiert & kommentiertBettina Christine Martini, Legau

Onkologie

Pazopanib – neuer Tyrosinkinasehemmer bei Nierenzellkarzinom

Der Multi-Tyrosinkinasehemmer Pazopanib (Votrient®) erweitert das Spektrum therapeutischer Optionen bei lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Nierenzellkrebs. Im Vergleich zu Plazebo konnte das progressionsfreie Überleben signifikant verlängert werden. Potenzielle Unterschiede im Verträglichkeitsprofil zu bisher bekannten Substanzen erweitern die Möglichkeiten bei der individuellen Therapieentscheidung. Die Studiendaten wurden bei einem von der Firma GlaxoSmithKline veranstalteten Satellitensymposium im Rahmen der Gemeinsamen Tagung der Bayerischen Urologenvereinigung und der Österreichischen Gesellschaft für Urologie und Andrologie im Juni 2010 in München vorgestellt. Am 15. Juni 2010 wurde Votrient® in Europa zugelassen.

Referiert & kommentiertDr. Susanne Heinzl, Reutlingen

Catumaxomab

Besseres Ansprechen bei immunologischer Reaktion

Patienten, die gegen den trifunktionalen murinen Antikörper Catumaxomab (Removab®) Anti-Maus-Antikörper bilden, zeigen ein signifikant verlängertes Überleben, wie eine Post-hoc-Analyse der für die Zulassung relevanten Phase-II/III-Studie zeigte, die beim ASCO 2010 als Poster präsentiert wurde.

Referiert & kommentiertDr. med. Claudia Borchard-Tuch, Zusmarshausen

Chronisch obstruktive Lungenerkrankung

Roflumilast: PDE-4-Inhibition als neues therapeutisches Prinzip

Mit Roflumilast (Daxas®) wurde im Juli 2010 ein neuer oraler Entzündungshemmer zur Therapie der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) zugelassen. Roflumilast ist zur Dauertherapie bei Erwachsenen mit schwerer COPD und chronischer Bronchitis sowie häufigen Exazerbationen in der Vorgeschichte zusätzlich zu einer bronchodilatatorischen Therapie indiziert. Bei diesen Patienten erreicht der Wirkstoff eine Reduktion der Exazerbationsrate sowie eine zusätzliche Verbesserung der Lungenfunktion. Zu beachten ist, dass Roflumilast kein direkter Bronchodilatator und daher nicht als Notfallmedikament geeignet ist. Im Rahmen eines von der Firma Nycomed veranstalteten Symposiums im Juli 2010 in Baden-Baden wurden die Daten der zulassungsrelevanten Studien vorgestellt.